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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Ferner ordnete der Wütherich an, daß unser Rabbiner, der sonst von allen Arbeiten verschont war, schon am nächsten Sabbat selber zum Frohndienste kommen muffe.

Ich war damals ein Knabe von etwa zehn Jahren, aber die aufregenden Vorgänge jener Tage sind mir noch so frisch im Gedächtniß, als hätten sie sich erst gestern zugetragen. So etwas vergißt sich nie wieder. Die Gemeinde trat zur Be- rathung zusammen, Fasten und Beten wurde von dem Rab­biner angeordnet, dem sich auch die ganze Gemeinde fügte. Das Wehklagen der Unglücklichen hallte Tag und Nacht zum Himmel empor: aber ein Ausweg war nach menschlichem Er­messen nicht zu finden. Unser Rabbiner, das Andenken des Gerechten sei zum Segen, sein Verdienst möge schützend über uns walten, hieß Rabbi Sundel Rappoport. Ich füge Ihnen die Namen bei, damit Sie nicht an der Wahrheit der Sache" zweifeln. Ein naher Verwandter unseres ver­storbenen Rabbiners war vor ganz kurzer Zeit im Rothschild'- schen Spitale in Frankfurt a. M. und lebt wohl jetzt noch in Deutschland .

Rabbi Sundel sein Andenken sei zum Segen war damals noch in den besten Mannesjahren. Aus Veranlassung des Vorstehers präsidirte derselbe einer zu diesem Zweck be­rufenen Gemeindeversammlung. Er sollte sich öffentlich da­rüber aussprechen, ob die Gemeiwde verpflichtet sei, wirklich die Heilighaltung des Sabbats mit dem Leben zu erkaufen, oder ob sie berechtigt sei, um dem sicheren Tod zu entgehen, den Sabbat preiszugeben.

Während es sonst bei unseren Gemeindeversammlungen äußerst lebhaft zu sein pflegte, ruhte diesmal eine feierliche Todtenstille über der Versammlung. Alles hing mit lautloser