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Stille an den Lippen unseres verehrten Rabbis, der mit seinem ganzen Bes - Din und sämmtlichen Dajanim (Assessoren) erschienen war. Auch Frauen und Kinder waren zu dieser Versammlung zugelassen. Während in der ganzen Gemeinde dumpfe Verzweiflung herrschte, lag auf dem Antlitz unseres Rabbiners ein verklärter Zug voller Seelenruhe und geradezu unverkennbarer Heiterkeit, die beruhigend auf die ganze Gemeinde wirkte, bevor der Redner noch die Lippen geöffnet hatte, von denen das Schicksal über Leben und Tod der ganzen Ge- ,meinde abhing. Der Redner begann dann seinen Vortrag mit einer Ruhe und Besonnenheit, als ob es sich um eine halachische Diskussion handelte, wie es täglich im Beth-Hamidrasch vorkam. Der Ernst, die Feierlichkeit des Moments lag in der ganzen Situation, sie hätte durch jedes Wort darüber eher beeinträchtigt, als erhöht werden können.
„Die Veranlassung, die uns zu so ungewöhnlicher Stunde hier zusammensührt," so begann er etwa seine Ausführungen, „ist Euch Allen bekannt, es braucht darüber kein Wort verloren zu werden. Die Frage, um die es sich handelt, ob wir verpflichtet sind, lieber in den Tod zu gehen, als den Sabbat zu entweihen, habe ich mit den anwesenden Thoragelehrten bereits gestern eingehend erörtert. Meine Kollegen und ich kommen zu dem einstimmigen Resultat, daß wir in diesem Falle nicht verpflichtet sind, für die Heilighaltung des Sabbat das Leben hinzugeben. Es ist uns ausdrücklich gelehrt, daß der Sabbat zurücktritt, sobald durch seine Beobachtung das Leben gefährdet ist. Wen daher das Loos zur Arbeit trifft und der Aufforderung Folge leistet, begeht sicher keine Sünde und Gott, der dieses Verhängniß über uns gesandt hat, wird gewiß verzeihen.
Eine andere schwierige Frage ist die, wenn wir nicht zur
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