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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Graf lieh die Thore öffnen, alles strömte in Heller Freude her­ein auf Rabbi Sunde! hin, um ihrem Retter die Hand zu drücken. Dieser hatte sich nicht von der Stelle am Fuße des Galgens gerührt und stand noch regungslos da, als sei er noch in Ketten geschnürt. Dabei schluchzte er krampfhaft und war lange nicht fähig ein Wort hervorzubringen.

Da trat der Borsteher der Gemeinde vor den Weinenden hin mit den Worten: l'rii nu r«Meister, löse uns

das Räthsel und gestatte uns einen Blick in Deine edle Seele. Als das schwere Verhängniß uns alle bedrohte, als wir uns alle härmten, weinten und klagten, verlorst Du keine Thräne und lebtest in himmlischer Heiterkeit. Und jetzt, wo der Bann gebrochen ist und wir nicht laut genug uns freuen können, stehst Du von Thränen llberfluthet da und findest kein Wort. Das sind keine Freude-Thränen, die Du vergießest, sondern dieselben werden Dir von einem Schmerz erpreßt, der uns unverständlich und geradezu räthselhaft ist."

Da begann unser Rabbiner, gesegnet sei sein Andenken:

Unsere Weisen lehren: nnrr nvvw ivbix nn? s-' daß Je­mand durch eine augenblickliche That sich die Ewigkeit sichern kann, die sonst dem Ringen und Kämpfen eines langen, fehlenden, irrenden Menschenlebens versagt bleibt. Daß unser himmlischer Bater dieses Opfer von mir anne'hmen werde, daß er mich einer solchen Heiligung seines Namens würdig erachte, hat mich mit einer Freude seit den jüngsten Tagen erfüllt, wie ich sie nie zuvor gekannt. Und nun fetze ich zu meinem Schrecken, daß Gott mich dieser Gnade nicht würdig erachtet und mich wieder dem Leben überweist, statt meine Seele in Wohlgefallen hinzunehmen, und ich sollte nicht weinen?"