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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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täuschen. Die Heftigkeit, Unnahbarkeit und Unberechenbarkeit des Kaisers waren der Kordon, den der Selbstherrscher aller Neusten schlauer Weise utn sich gezogen hatte. Alle jene oft un­erträglichen Beschwerden dieses glänzenden Elends schienen dem Kaiser geringfügig im Hinblick auf die hohen Ziele, in deren Dienst er sich von der Vorsehung berufen glaubte: Das alte moskowitische Vermächtniß endlich zur Wahrheit zu machen und das Heileszeichen seiner Religion am goldenen Horn am Bosporus auszupslanzen. Alle Maßnahmen seiner Politik, seiner Diplomatie und Verwaltung steuerten auf dieses Ziel los. Auch seine Stellung zu den Juden seines Reiches nahm Czar Nikolaus nach diesen Voraussetzungen. Sie war ihm von selbst vorgezeichnet. Waren für seine Religion selbst die Grenzen des ungeheueren ruffischen Reichs zu enge, und schwebte ihm als Hochziel seines ganzen Lebens die Eroberung des Islam durch das Christenthum und zwar durch sein Christenthum vor, wie hätte er im eigenen Lande, innerhalb des heiligen russischen Reiches noch Juden dulden können?!

Das war die Quelle des ungewöhnlichen Judenhasses, den Kaiser Nikolaus mit rasfinirter Grausamkeit pflegte.

Die Millionen jüdischer Unterthanen ohne weiteres von Haus und Hof zu verjagen, das ließ sich nicht so leicht bewerk­stelligen, schon deshalb nicht, weil jeder andere Staat sie an seinen Grenzen zurückgewiesen hätte. Der Gedanke, wie man die Juden mit oder ohne Anstand endgiltig los werden könnte, beschäftigte eben Kaiser Nikolaus bei dem erregten Gange durch sein Ärbeitskabinet, und seine finster gerunzelte Stirne verrieth, daß kr noch keinen befriedigenden Ausweg ge­funden hatte.

Vor wenigen Monaten hatte er einen Ministerrath