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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Jahr die jüdischen Familien in Ruffisch-Polen nächtlich durch seine Häscher überfallen lassen, riß den Eltern die Söhne im Alter von 10 bis 12 Jahren hinweg, ließ sie gewaltsam taufen und steckte sie unter die Kosaken in Kaukasien oder der Insel Krim, aber es waren doch nur einzelne Familien, welche auf diese Weise in Unglück und Verzweiflung getrieben würden.

Nikolaus hatte auch schon für einzelne Theile des Reichs Gesetze erlassen, welche das Studium der Thora verboten, die Ausübung der jüdischen Religionsgesetze mit schweren Strafen belegten. Aber das alles hatte sich als vollständig wirkungs­los erwiesen. Wenn eine solche Verordnung erschien, welche von einem bestimmten Termin an die kaiserlichen Verbote in Kraft erklärte, so setzten die jüdischen Gemeinden alle Hebel in Bewegung, um das Verhängniß abzüwenden. Sie scheuten vor keinem Opfer zurück, sie gewannen die Gouverneure, die Minister, kurz alle maßgebenden Faktoren, so daß die Gesetze annullirt wurden, bevor sie in Kraft traten. Traten sie aber wirklich in Kraft, so dauerte es nicht lange, bis die Juden die mit der Ausführung dieser Gesetze betrauten Beamten ge­wonnen hatten. Diese Gesetze Waren da, aber ausgeführt wurden sie niemals. Man wahrte höchstens den Schein, aber die Juden und die kaiserlichen Beamten Waren einig, die dra­konischen Bestimmungen des Kaisers nur auf dem Papier stehen zu lassen.

Das alles wußte der Kaiser. Er hatte die Judenfrage wie selten ein anderer studirt. Er wäre vor keiner Gewaltmaß­regel gegen die Juden zurückgeschreckt, wenn sie ihn nur zum Ziele geführt hätte. Aber er war rathlos. Tiefer furchte sich die Stirne, ungestümer schritt er in seinem Kabinet auf und nieder. Jetzt hielt er plötzlich inne. Er schien eine Lösung ge-