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der Sache, auf das Diner verzichten, und sich mit einigen während der Arbeit zu nehmenden Erfrischungen begnügen. Dann denke ich Wohl, daß wir in etwa 12 Stunden, also gegen 2 Uhr heute Nacht, den Entwurf redigirt haben können."
„Dann möchte ich Sie nicht länger von dem Beginn der Arbeit zurückhalten. Ich werde mich dann heute Nacht nach dem Stand Ihrer Arbeit umsehen, und erkläre jetzt den Ministerrath geschloffen."
Mit diesen Worten erhob sich der Kaiser und verließ klirrenden Schrittes das Gemach, dessen Thüre sich geräuschlos öffnete und sich ebenso leise wieder schloß.
Als die Mitglieder des Ministeriums allein waren, wechselten sie einen verständnißvollen Blick, der einige wenige Sekunden beanspruchte. Bei den muthigsten Ministerseelen verrieth dieser Blick ingrimmigen Haß über diese erniedrigende Behandlung und eine schlecht verhehlte Schadenfreude darüber, daß man schon im voraus wußte, man werde mit diesen kleinlichen Mitteln nicht mehr und nicht weniger als bisher erreichen. Aber das war nur ein rasches Aufflackern, das jeder schnell zu dämpfen sich bemühte. Kein leises Wort des Unwillens kam über die ministeriellen Lippen. Wenn irgendwo haben in den Palästen die Wände Ohren. Dabei traute auch kein Kollege dem anderen. Jeder wußte, daß der Kaiser mit jedem Einzelnen besondere Beziehungen unterhielt, und daß jeder fähig war, der Verräther des anderen zu werden.
Schweigend gingen alle an die Arbeit. Der Minister des Innern, der alle einschlägigen Gesetzesbestimmungen genau kannte, übernahm die Redaktion des Entwurfs und stellte die Details nach dem Plane fest, wie ihn Se. Majestät soeben entwickelt hatte. Jeder einzelne Passus wurde gemeinschaftlich