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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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worden. Den tausenden von Schülern, die er während seiner langen, gottgesegneten Lehrwirksamkeit ausgebildet hatte, stand er wie ein liebevoller Vater und Helfer zur Seite und die vereinzelten hochbetagten Greise unter ihnen, die uns aus jener Zeit der Himmel noch erhalten hat, verjüngt noch heute ein Hauch jugendlicher Begeisterung, wenn sie ihres nun bereits mehr als 60 Jahre Heimgegangenen Lehrers gedenken.

Zu seiner Gemeinde stand Rabbi Moscheh Sofer wie das Haupt einer grossen Familie. Jedes einzelne Glied der­selben war seinem edlen Herzen gleich nahe, um in allen Lagen "des Lebens Jedem mit Rath und Thai hilfreich zur Seite zu stehen.

Daher kam es, daß außer den späten Nacht- und den frühen Morgenstunden Rabbi Moscheh Sofer selten allein war, und auch jetzt hatte er nur wenige ZMen der vor ihm liegenden Briefe gelesen, als es an die Thüre klopfte. Das Mar ein schüchternes Pochen, und der Rabbi glaubte sich ohne viel pro­phetische Gabe sagen zu dürfen, daß da draußen ein armer 'Mann um Einlaß bitte, an den jetzt, da die heitere Festzeit vor­über war, die schwere Sorge des Lebens wieder herantrat.

Mit seiner ganzen leutseligen Herzensgüte sprang daher der Rabbi von seinem Platze auf, um dem Pochenden selber die Thüre zu öffnen. Er öffnete sie ja nicht nur den Armen, sondern auch der Herrlichkeit Gottes, von Melcher das Psalm­wort sagt, daß sie zur Rechten eines jeden Armen weile.

Wie hatte sich aber der Rabbi so gründlich geirrt! Das war kein armer Mann. Es Mar der reichste und angesehenste Mann der Gemeinde, der Roschhakdhol Rabbi Mols Pappen­heim selber, und die Höhe und Würde des Eintretenden be-