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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Womit beschäftigt sich eigentlich Gott seitdem er die Welt­schöpfung vollendet und so gar keinen Anlaß zu einer ferneren Thätigkeit hat?"

Eine sonderbare Frage," unterbrach ihn der König.

Die Frage klingt uns in der That sonderbar. Aber sie verliert viel an ihrer Sonderbarkeit, wenn man sich vergegen­wärtigt, daß die Fragestellerin eine gebildete Heidin war, die wohl an Gott als den Schöpfer, aber nicht als Erhalter des ganzen Universums glaubte. Noch weniger war ihr die Wahr­heit bekannt, daß das tzesammte Universum für den Menschen und für die freie Verwirklichung des Sittengesetzes geschaffen ist, wie sie in der Entwickelung der Menschheit zum Ausdruck kommt. Dieser Wahrheit gab der jüdische Weise drastischen Ausdruck, indem er der Matrone antwortete:Seitdem Gott die Welt vollendet hat, stiftet er Ehren."Besseres hat er nicht zu thun?" fragte spöttisch die Matrone,das kann ich ja auch."Ich möchte es bezweifeln," entgegnete der Rabbi. Aber die Matrone erklärte, sie werde ihn sofort überzeugen. Sie ließ auf einen Wink ihre sämmtlichen Sklaven und Sklavinnen in ihren Hof versammeln, stellte die einen rechts und die anderen links auf und gebot, daß alle sich Gegenüber- stehende zu heirathen verpflichtet seien. So zogen alle gepaart, Arm in Arm ab, sie waren Mann und Frau.Sichst Du, daß ich das auch kann?" fragte die Matrone lacheitd den Rabbi. Dieser erwiderte ihr, daß er sie nach vierundzwanzig Stunden überzeugen wolle, daß sie trotz alledem eine schlechte Ehestifterin sei. Den anderen Tag gingen die Neuvermählten an ihre Ar­beit, der eine mit einem blauen Auge, die andere mit zerkratztem Gesicht, ein anderer mit verbundenem Kopf, alle aber waren mißmuthig und seufzten laut und leise über das Unglück ihrer