Druckschrift 
Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
Seite
395
Einzelbild herunterladen

Eltern dann ihre Einwilligung zur Verheirathung mit einem armen Christen, nein, mit einem getauften Juden geben werden? Die Kirche mag uns Juden durch die Taufe immerhin als richtige Christen anerkennen, aber für die öffentliche Meinung bleiben wir immer Juden, wenn auch getaufte Juden. Hast Du schon einmal von getauften Christen gehört? So müßte man uns doch nach der Taufe billiger Weise nennen und selbst diese bloße Anerkennung versagt man uns ebenso hartnäckig, von Seiten der Juden wie von den Christen."

Arthur Cohnstamm seufzte tief auf. Christine ergriff beruhigend seine Hand und sagte mit einschmeichelnder Stimme:

Ich sage Dir ja, Wir wollen einmal den leidigen Geld­punkt ganz außer Betracht lassen. Nehmen wir einmal an, er existirte gar nicht, so kannst Du doch leichter Christ werden, als ich Jüdin. Ihr lebt, denkt, fühlt und verkehrt doch das ganze liebe Jahr hindurch wie wir Christen. Ihr besucht christliche Gesellschaften und ladet sie zu euch ein, ihr habt selbst in euren Tempeln christliche Kircheninstrumente, ihr verleugnet osten­tativ euere jüdischen Namen, ihr zündet am heiligen Abend den Christbaum an, ihr eßt und trinkt mit den Christen zusammen, was den Juden durch ihre veraltete Religion verboten ist, tvarum sollten Deine Eltern auf halbem, auf mehr als halbem Weg stehen bleiben und muthlos vor der letzten folgerichtigen Konsequenz ihrer ganzen Lebensrichtung zurückschrecken? Ich begreife, daß Deine Eltern die Religion, in der sie geboren sind, nicht wechseln wollen, aber ihren einzigen Sohn können sie im Ernste nicht von dem zurückhalten wollen, wohin doch ihre ganze Lebensrichtung zielt. Das ist eine Caprice, die sie nicht ewig festhalten werden, wenn ihnen Dein Wille sanft, aber ent­schieden entgegentritt. Meinst Du nicht?"