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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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sie mit offenen Armen als Jiidin begrüßen würde. Wie war sie daher erstaunt, als sie gar keine große Freude über diesen Entschluß bei dem Greise gewahren konnte! Leutselig erwiderte der Greis:

Wie ich aus Ihrer Visitenkarte ersehe, gehören Sie einer bekannten Familie von altem Adel an; was veranlaßt Sie zu einem so bedeutungsvollen Schritte?"

Ich möchte einen jüdischen jungen Mann heirathen, den ich von ganzem Herzen liebe, dessen Eltern aber nicht in eine Ehe mit einer Christin willigen."

Ah, ich ahnte so etwas; nachdem Sie mir nun meine Ahnung selber als zutreffend bestätigen, erkläre ich Ihnen, Sie können niemals Jüdin werden."

Warum nicht?" fragte Christine erstaunt.

Unsere Religion gestattet die Ausnahme von Profelyten nur in seltenen Fällen. Ich bin hellte über siebzig Jahre alt, aber von den vielen, welche mich im Laufe der Jahre um Auf­nahme in den Bund Abrahams ersuchten, habe ich nicht eine einzige Person gefunden, die die erforderliche Qualifikation gehabt hätte."

Und was wären die Bedingungen, die Ihre Religion verlangt?" fragte etwas schnippisch Christine.

Zunächst muß die Gewißheit vorhanden fein, daß die Liebe zur Wahrheit, wie sie das Judenthum lehrt das einzige Motiv für den Religionswechsel ist. Die bloße Be­hauptung, von diesem Motiv beseelt zu sein, darf dem gewissen­haften Rabbiner nicht genügen. Es gehört oft eine schwierige, langjährige Beobachtung dazu, um über alle Zweifel festzu- stcllen, daß es nur die Liebe zum Judenthum ist, welche einen solchen^ Entschluß zur Reife gebracht hat."