402
Sie, verehrtes Fräulein, ich bin auch ein Geizhals dieses Schlages, der fest an seinen heiligen idealen Gütern hängt. Ob und wie diese einst unter die Welt kommen, das hat mir noch wenig graue Haare gemacht. Das überlaste ich dem, zu besten Ehre ich dieses heilige Gut treu bewahre."
„Dann müssen aber nach Ihrer Ansicht auch alle unsere Missionsbestrebungen tadelnswerth sein, und Sie werden doch den segensreichen Erfolg nicht bestreiten, den diese Verbreitung des alten und neuen Testaments unter den Heiden und Wilden zu verzeichnen hat?"
„Wenn ich ihn auch bestritte, so brauchte für Sie das Ur- theil eines Rabbiners über spezifisch christliche Angelegenheiten nicht maßgebend zu sein. Aber ich bestreite ihn nicht einmal. Man mag über Christenthum und Judenthum denken, wie man immer will, daß das letztere vielseitigere und größere Anforderungen an seine Bekenner stellt als das erster«, daß das Judenthum schwerer zu erfüllen ist, als das Christenthum, darüber dürften alle einig sein. Wenn ich also wirklich der Ansicht wäre, daß das Judenthum einst Gemeingut der ganzen Menschheit würde, so könnte ich mich der Verbreitung des Christenthums unter den Heiden nur freuen und müßte darin einen großen erfreulichen Fortschritt erblicken."
Christine hatte gehofft, den Rabbi zu einer Verurthrilung einer christlichen Einrichtung zu drängen, um daran wiederholt die Bitte zu knüpfen, ihr doch von der Lossagung von einer solchen Religion behilflich zu sein. Aber die kluge, duldsame Sanstmuth des ehrwürdigen Greises hatte sie so vollständig entwaffnet, daß sie die religiöse Disputation aufgab und wieder versuchte, direkt auf ihr Ziel loszusteuern.
„Wie können Sie aber behaupten," fragte sie plötzlich.