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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Thüre zunächst waren, leisteten dieser Aufforderung sofort Folge. Sie machten sich mit ihren Aexten und Stöcken auf den Weg nach dem nur wenige Schritte entfernten Häuschen Nier's, das sie, wie an jedem Jomtof, hell erleuchtet fanden. Das war den Rekotznoscirenden schon auffallend, da alle ver­abredet hatten, ihre Häuser unerleuchtet zu lassen, um durch das Licht die Heranstiirmenden nicht besonders auf die jüdischen Häuser aufmerksam zu machen.

Als sie aber näher an das Häuschen kamen und durch die in kaum halber Mannshöhe vom Boden entfernten Fenster blickten, da sahen sie die ganze Familie heiter und wohlgemuth am Sedertische sitzen. Sie traten so ungestüm ein, daß die Kleinen erschreckt die Köpfe umwandten, in der Meinung, die Aufrührer seien wirklich schon da.

Der Hausherr und die Hausfrau aber erhoben kauni den Blick aus ihrer Peßach-Hagada. Zum Worte konnten sie gar nicht kommen, denn die Eintretenden hatten in heftiger Er­regung die Thüre aufgerissen und frugen an der Schwelle:

Seid Ihr nicht recht gescheidt, Aron, wißt Ihr denn nicht, daß die ganze Gemeinde beim Parnes versammelt ist, und man auf Euch allein wartet, und Ihr setzt Euch ruhig zum Seder hin, als ob gar nichts in der Welt vorginge?"

Aron Nier war ein schlichter Metzger, aber er besaß einen feinen Takt und die richtige Bildung des Herzens, die man aus keinem Komplimentirbuch erlernen kann, vor allen aber zeichnete ihn ein tiefreligiöses Gemüth aus, wie man es selten in dieser Reinheit und Tiefe bei Leutm seines Standes findet. Als Beweis seiner ungewöhnlichen Frömmigkeit mag die eine Thatsache gelten, daß er einmal den Schächter bei dem Rabbiner verklagt hatte, weil schon ein halbes Jahr lang kein