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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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zu; aber es war keine Spur des herannahenden Feindes zu er­kennen. Die Thüre wurde wieder geschlossen, wieder von einem Blick in die Nacht hinein begleitet, aber ebenfalls ohne etwas Beunruhigendes zu gewahren.

Um so unruhiger ging es bei der versammelten Gemeinde im Hause des Parnes zu. Der Bericht der drei Abgesandten hatte im ersten Augenblick einen unverkennbaren Eindruck auf die Versammelten gemacht. Aber dann fanden sich einige Superkluge, daß Aron Nier schon von jeher etwas Besonderes habe, daß man nicht zu fromm sein solle, daß man einer solchen Gefahr gegenüber das Seinige thun müsse und sich nicht auf Wunder verlassen dürfe, und wie die Reden alle waren. Aber trotz dieser Ablenkung befand sich die Gemeinde in fieberhafter Aufregung, je länger die Ankunft der Anführer auf sich warten ließ. Man ging an's Fenster, andere stiegen auf den Speicher, wo durch die Dachlucke ein größerer Fernblick möglich war, aber noch immer war keine Spur wahrzunehmen.

Da, nach mehr als zweistündigem Harren, kamen unver­merkt die Kundschafter aus einer Seitenstraße und brachten die Nachricht, daß die Rotte im Anzug sei und jede Minute in's Dorf einrücken könne. Sie hatten auf Seitenpfaden im Walde die Stelle erreicht, an welcher sich die Wegelagerer noch bei dem geraubten Faß Wein gütlich thaten und konnten ge­deckt durch das Dunkel der Nacht und des dichten Tannenwaldes auf beiden Seiten der Hauptstraße genau die Bewegungen und Maßnahmen der Plünderer verfolgen. Diese hatten beschlossen, in aller Stille in's Dorf einzuziehen und erst auf dem Markt­platz mit lauten Trompetenrufen das Signal zur Plünderung der Judenhäuser zu geben. Im ganzen Dorf branitte kein Licht, auch die christlichen Hausbesitzer hatten es für gerathen