Druckschrift 
Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
Seite
471
Einzelbild herunterladen

471

Tages nach der Verhaftung ihres Gatten, noch lange vor Tages­anbruch, löschte sie das Licht ihres Zimmers aus, hob mit Auf­gebot aller Kraft den Schrank von der Stelle, öffnete die Bo­dendiele und nahm den verhängnißöollen Werthgegenstand von der Stelle, wickelte ihn in ein Tuch und legte ihn unter ihr Kopfkissen, stellte den Schrank wieder an seine Stelle, nahm am Vormittag das Paquet unter ihre Schurze und ging direkt in das Haus des Rabbiners.

Als sie an dessen Lernstube kam, pochte ihr Herz so laut, daß ihr horchendes Ohr Mühe hatte, zu hören, ob und wer beim Rabbiner zugegen war, obwohl es sehr laut darin zuging. Es war nämlich gerade die Zeit des Schiur (talmudi- schen Vortrags), an dem einige zwanzig Jünglinge sich lebhaft betheiligten. Ohne anzuklopsen öffnete sie leise die Thiire, aber nur so weit, als nöthig war, Um das PaqUet in's Zimmer zu werfen, schloß die Thiire sofort und eilte aus die Straße, wo sie in der Menge nach wenigen Sekunden verschwand.

Niemand hatte sie bemerkt. Nur einige der Höver, welche der Thüre zunächst saßen, hatten die Thiire sich öffnen und einen Gegenstand in das Zinimer fallen sehen, ohne zu ahnen, was das Tuch enthalte und wer es da hineingeworfen habe. Wenn statt eines unscheinbaren Päckchens ein Balken von der Zimmerdecke niedergefallen wäre, hätte sich auch keiner der An­wesenden während des Studiums danach umgesehen. Ueber eine Stunde mochte das Paquet so am Boden gelegen haben, als der Vortrag schloß und einer der jungen Leute es aufhob, uw es dem Lehrer hinzureichen, mit dem Bemerken, dasselbe sei während des Schiur in das Zimmer geworfen worden. Der Rabbiner trat an's Fenster, öffnete das Paquet, während seine Schüler das Zimmer verließen. Aber kautn hatte er die