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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Aufschrift gelesen, fuhr er erschrocken zurück, da stand es klar und deutlich:

Herrn Ernst Roderich in Büdweis! Werth 30 000 Gul­den in Papier."

Der damalige Rabbiner von Leipnik war der berühmte Rabbi Teomin Frankel, der durch seinen lauteren Charakter, seine tiefe Weisheit und aufrichtige Frömmigkeit weit über seinen engeren Berufskreis hinaus berühmt war. Die Er­regung darüber, daß das, was er hier in der Hand hatte, der Gegenstand hochgradiger Aufregung in allen Kreisen der Stadt war, machte ihn einen Augenblick zittern und ließ ihn die Ruhe verlieren, die ihn sonst auch in kritischen Momenten nicht ver­ließ. Aber es war nur eine augenblickliche Aufwallung. Nach wenigen Minuten hatte er wieder seine Fassung und da­mit auch die Klarheit des Geistes gefunden, die ihn selbst die verwickeltste Situation richtig überschauen und beurtheilen ließ.

Vorsichtig prüfte er die Siegel, sie waren alle unversehrt. Während der Prüfung ließ er in abgebrochenen, halblaut vor sich hingesprochenen Sätzen alle denkbaren Möglichkeiten Revue passiren, um sich für die wahrscheinlichste zu entscheiden, und seine Maßnahmen danach zu treffen.

Also," begann er,ist doch einer aus der Gemeinde der Dieb; wer hätte das geglaubt! Oder ist der Thäter gar ein Christ, der sich nicht mehr sicher fühlt, und nur das Paquet in das Zimmer Wirft, um jeden Verlust von sich abzulenken? Der Frau Jefsel müßte ich von dem Borgefallenen jedenfalls Mit­theilung machen, damit sie sobald als möglich erfährt, daß der gestohlene Gegenstand gesunden ist, und nun ihr Mann frei Wird. Oder, wenn gar Jessel wirklich der Dieb, wenn seine Frau Mitwisserin und sie diejenige wäre, die das Paguet in