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so muß sie doch überzeugt sein, daß Jemand, der in verbrecherischer Absicht einen so gefährlichen Gegenstand im Häufe hält, ihn tvahrlich nicht an dieser Stelle offen liegen läßt.
Als aber der räthselhafte Gegenstand so vor ihm lag und fort und fort den Blick des auf- und abgehenden Rabbiners auf sich zog, fühlte er, baß er hier nicht die Seelenruhe finde, um ungestört Uber die zu treffenden Maßnahmen nächzudenken. Er nahm Stock und Hut, schloß sorgfältig sein Zimmer ab und ging vor die Stadt hinaus in's Freie, um unbehelligt seinen Gedanken nachgehen zu können.
Um jene Zeit kannte man den Luft- und Bewegungskultus unserer Tage noch nicht, der Leuten besonders von sitzender Lebensart, einen täglichen Spaziergang vorschreibt. Aber gar einen an Wochentagen spazieren gehenden Rabbiner hätte sich damals keine noch so lebhafte Phantasie auch nur vorstellen können. Wer den Rabbiner in der Stadt gehen sah, glaubte, daß sein Weg irgend einer beruflichen Veranlassung gelte. Außerhalb der Stadt aber traf er auf Niemanden, der sich an seinem Spaziergang gestoßen hätte.
Ungestört konnte er hier seinen Gedanken nachhängen, aber sein sonst so bewährter, glänzender Scharfsinn versagte und vermochte hier keinen Ausweg zu finden. Als er eben Um die Ecke bog, sah er in kurzer Entfernung einen Geistlichen ent- gegenkommen. Es war der ihm bekannte Domherr Reinhold. Bei seinem Anblick suhr's ihm wie ein Blitz durch die Seele, jetzt hatte er den Ausweg gefunden.
„Ei, di," redete ihn der leutselige Domherr an, „das ist ja eine seltene Erscheinung, die ich sogleich, wenn ich nach Hause kommen, in unsere Chronik aufzeichnen möchte. Ihr geht