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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Ms nun Jessel mit dem Rabbiner allein war, legte ersterer das Geld aus den Tisch mit den Worten:

I ch kann das Geld niemals annehmen, denn es ist mir in einer falschen Voraussetzung zuerkannt worden. Für die verbüßte Einkerkerung habe ich kein Schmerzensgeld zu be­anspruchen, denn ich habe sie verdient. Ich 'war ich bin der Dieb."

Nun erzählte den ganzen Vorgang mit allen Einzelhei­ten, wie wir ihn bereits' kennen, von heißen Reuethränen und so lautem Schluchzen begleitet, daß der Rabbiner sein Zimmer abschloß und Simon Jessel wiederholt zur Mäßigung er­mahnte, damit kein unberufenes Ohr etwas von dem Vorgang höre.

Als Jessel seine Mittheilung beendet hatte, ergriff der Rabbiner bewegt die Hand des in Thränen aufgelösten Reuigen und sagte ihm:

Jessel, Du bist kein Dieb und warst nie einer. Unsere heilige Sprache scheidet scharf zwischen einem gewohnheits­mäßigen Dieb und einem, der nur ein einziges mal etwas ent- wendt hat. Den ersteren nennt 'sie G>annos, den zweiten Vo­lles, für den ersteren hat die deutsche Sprache in dem Worte Dieb ihre Bezetchnuntz, für den letzteren nicht. Ein Dieb würdest Dn, Gott behüte, nur werden, wenn Du auf diesem Wege weiter wandeln würdest. Du bist ein gelernter Mann, ein Talmid Chacham, von dem unsere Weisen sagen, daß man ihm ein Unrecht, das er begangen, nicht Nachträgen dürfe, weil er sicher Teschuba gethan, d. h. den Vorsatz, zur Pflicht zurück­zukehren, gefaßt und ausgeführt hat. Unsere Weisen lehren l'erner auf den ersten Blättern von Ehagiga: wer etwas Un-

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