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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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ganzes Jichus sich auf die Drechslerbank beschränkt, aus der sie erstanden. Mein Trendelchen ist einseitig, ἔρχομαι

εἶναι , möchte ich mit dem alten Homer sagen, ich bin stolz darauf, es zu sein. Daß man die Einseitigkeit heutzutage für ein so großes Verbrechen hält, liegt im ganzen Zug unserer alles nivellirenden Zeit, der es ja nicht an Verbreite­rung, wohl aber an Vertiefung von Wißen und Bildung fehlt. Die Originale sterben aus, alle sind über ein und denselben Leisten geschlagen, sie haben dieselben Schulen besucht, den­selben Bildungsgang durchgemacht, in Folge dessen denkt, empfindet, handelt, hustet und räuspert sich einer wie der an­dere, und derjenige, der sich nun erkühnt, eine eigene, selbst­ständige, vom großen Strom abweichende Meinung zu haben, nun der ist eben einseitig. Aber alle wahren Männer, die diesen Namen verdienen, waren einseitig in diesem Sinne, und der erste Jude, unser Stammvater Abraham, besaß eine so große Dosis solcher Einseitigkeit, daß unsere Weisen seinen und seines Volkes Namen, die Bezeichnung Ebräer, von dem Umstande ableiten, die ganze Welt Hab« di« eine und Abraham allein die andere Seite (Eber) gebildet. Wenn ich daher eine Richtung oder Ansicht für wahr erkannt habe, und nun mit dem Aufgebot alles dessen, was ich bin und habe, mich ihr zu­neige und dafür ehrlich eintrete, dann wäre ich einseitig? Und es wäre eine Schande, einseitig, es wäre nicht vielmehr eine Schmach, doppelzüngig, zwei-, drei- und vielseitig nach jedem Windzuge umzuschauen und danach meinen Mantel zu hängen?

Wir leben gegenwärtig unter dem Zeichen des Com- promisses, nicht nur in religiösen, sondern auch in sozialen und politischen Fragen. Daß jeder Compromiß eine Verleugnung der Wahrheit aus Opportunitäts-Rücksichten ist,-wird. Niemand