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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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dispensirte. Der Vater hatte ihn in die Stadt begleitet, noch fühlte er den Druck der Hände, die der scheidende Vater segnend ihm auf's Haupt gelegt hatte.

Aber schon nach den ersten paar Wochen erlag er dem Spott und Hohn seiner Sabbat entweihenden Genoffen und der Verführung seines eigenen Prinzipals. Diesem war er als jüngster Lehrling der lebendige, leibhaftige Vorwurf, wo er ihm in den Weg kam. Daß dieser Knirps von Lehrling den Sabbat heilig hielt, während ihn der Chef des Hauses ent­weihte, war für die Dauer unerträglich. Der Freitag stand noch ganz lebendig vor seiner Seele, an dem ihn der Chef mit wohlwollender Gönnermiene in's Comptoir rief und ihm er­klärte, wie er jede religiöse Ueberzeugung schätze und achte. Aber Angesichts der Neckereien und Nörgeleien des Comptoir­personals, denen er fortwährend ausgesetzt sei, rathe er ihm ja nicht, mit dem Sabbat zu brechen, sondern nur einige Stunden in's Geschäft zu gehen, ohne irgend etwas zu arbeiten. Er sah sich auch mit seinen Sabbatkleidern als fünfzehnjähriger Knabe am Sabbat in's Geschäft gehen, er fühlte noch jetzt das Zittern der Hand, das ihn einige Sabbate später befallen hatte, als er aus Geheiß seines Chefs einer Marktfrau am Sabbat Zum ersten Male drei Meter Kattun abschnitt. Mit diesem Schnitt hatte er das Band zerschnitten, welches ihn mit seinen Eltern, mit seinem Judenthum, kurz, mit allem, was ihm heilig war, verbunden hatte.

Als ihm dies alles jetzt in der Scheidestunde des Jom­kippur mit erschreckender Klarheit vor die bewegte Seele trat, wurde ihm zum ersten Male die erziehende, sittigende Kraft klar, mit welcher Gott seinen Sabbat ausgestattet hat. So lange er treu den Sabbat gehalten hatte, zog dieser einen Kor-