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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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Frage, warum er sich besonders serviren lasse, hatte er noch die Kühnheit zu antworten:

Was denken Sie auch, ich esse koscher!"

Da klopfte ihm der geriebene Reisende auf die Schulter und sagte höhnisch:

Ah, entschuldigen Sie, Sie halten das für koscher?! Dann essen Sie ruhig weiter, mit Fischen und Kartoffeln habe auch ich angefangen."

Das hatte dem Faß den Boden ausgeschlagen. Er kannte längst keine Skrupel mehr in seinem Essen und Trinken und seinem ganzen sonstigen Genußleben. Sein ausschtveifen- der Lebenswandel stürzte ihn in Schulden, die er durch wieder­holte Eingriffe in die Geschäftskasse deckte. Niemals war etwas von diesen Veruntreuungen an's Tageslicht gekommen, aber um so schwerer lagen sie ihm wie ein drückender Alp auf der ge- ängstigten Seele. Er konnte seinem Chef, dessen volles Ver­trauen er genoß, nicht mehr in's Auge schauen, aus Furcht, man könne ihm den Dieb aus den Blicken lesen.

Die nächsten Feiertage verbrachte er zum ersten Male wieder im elterlichen Hause. Dort durfte keine Seele die Um­wandlung ahnen, die sich mit ihm vollzogen hatte. Er mußte zu Hause in der gewohnten Weise beten, essen, trinken, und diese Heuchelei drückte ihm schier das Herz ab. Er war glück­lich, als er sofort nach den Feiertagen das Elternhaus verlassen konnte. Er war ein Fremder darin geworden.

Noch gieriger stürzte er sich in den Strudel der Zer­streuungen, tiefer und tiefer sank er in den Pfuhl der Ent­artung,- er hatte die Kraft nicht mehr, sich zu ermannen und sich loszureißen. Gebrochen am Körper, geknickt am Geist, warf

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