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ihn als Folge seines sittenlosen Lebens eine schmerzliche, langwierige Krankheit darnieder, aus der er als hohläugiger, jugendlicher Greis wieder zum Leben erstand. Aber er stand diesem Leben blasirt und theilnahmslos gegenüber, er hatte die Lust am Leben verloren. Noch glühte die eingefressene sündige Leidenschaft in der Brust, aber die Kraft fehlte ihm, ihr zu fröhnen.
Verdrossen und mürrisch griff er wieder seine geschäftliche Thätigkeit auf, aber es war kein Trieb und kein Segen darin. Langsam, langsam arbeitete er sich wieder in die Höhe, aber die Lust am Dasein, die Freude mit der Thätigkeit war dahin. Da starb die Mutter. An ihrem Grabe hatte er sich gelobt, ein neues Leben zu beginnen. Aber er konnte den Vorsatz nur wenige Tage lang ausführen. Als er nach Verlauf der sieben Trauertage das Elternhaus verließ, verließ ihn auch der treue Lebensvorsatz, den er in ernster Stunde gefaßt hatte.
Sein siecher Körper, sein verunlauterter Geist waren zu schwach für den Kampf gegen Gewohnheit und Sünde. O wäre er noch einmal jung, rein, wäre er noch einmal im Besitz seiner vergeudeten Körper- und Geisteskräfte gewesen, er wollte gewiß brav und wacker bleiben; aber jetzt giebt es kein Zurück. Was er bis jetzt nur geahnt, sieht er mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen: den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, zwischen der Ausschweifung und dem Zusammenbruch aller Kräfte, zwischen dem frivolen Wüstling und dem lebensmüden Greise, zwischen der Sünde und dem Tode!
Da kam der Jom Kippur. Seit dem ersten Frühstrahl stand er vereint mit den Brüdern im Gebet vor Gott . Aber was den anderen wie tröstender Balsam die Wunden der Seele heilte, stachelte sein Gewissen mit neuen Qualen auf. Als er