Heft 
Band 1 Heft 2
Seite
93
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Otis, Berlin 1(1993) 2, S.93- 109

Der ehemalige Berliner Rieselfeldgürtel und seine Bedeutung für die Vogelwelt

Von WOLFGANG MÄDLOW, Schwedt/Oder

"Doch anderseits, wie kann so ein dichtbewachsenes Grabengebiet die einförmige Kulturlandschaft angenehm unterbrechen. Hundertfaches Leben gedeiht in solcher Wildnis von Strauchweiden, Nesseln, Disteln, Umbelliferen, Rohr und hohen Gräsern. Falter gaukeln um die Blüten, pelzige Hummeln und Bienen drängen sich summend um die nahrungsspendenden Blumenkelche. Und vom kleinsten Käfer bis zum Moschusbock turnt es auf den Blütendolden umher. Allerlei gefiedertes Volk, Sumpfrohrsänger, Grasmücken und Ammern, bringt hier die Bruten auf und füllt die langen Tage mit seinen Liedern.

(MAX GARLING, 1932)

1. Einleitung

Für viele Menschen sind Rieselfelder der Inbegriff verdorbener Landschaft, vergiftete, stinkende und unwirtliche Gebiete, die einer verträglichen anderweitigen Nutzung zuzuführen Aufgabe der Gesellschaft ist. Und doch haben viele großstädtische(und andere) Naturfreunde die Rieselfelder schon lange als bevorzugten Erholungsraum entdeckt, gewinnen ihnen auch landschaftlichen Reiz ab. Ornithologen haben schon früh den immensen Vogelreichtum auf den Berliner Rieselteldern bemerkt und wissenschaftlich untersucht. Nachdem nunmehr die meisten Rieselfelder verschwun­den und diese Kulturlandschaft akut vom Untergang bedroht ist, soll der Versuch unternommen werden, den Werdegang der Berliner Rieselfelder und ihrer ornithologischen Untersuchung zusammenzufassen und vor allem die tatsächliche Bedeutung dieser Flächen für den Vogelschutz zu untersuchen. Nicht zuletzt sollen einige Vorschläge zur Entwicklung der wenigen noch verblie­benen Rieselfelder gemacht werden.

2. Geschichte der Rieselfelder

Über die Entstehung der Berliner Rieselfelder ist auch in der ormnithologischen Literatur schon berichtet worden(DITTBERNER 1969a, SCHONERT 1984), SO daß hier nur die wichtigsten Ereig­nisse kurz erwähnt werden sollen(nach BERLINER . ENTWÄSSERUNGSWERKE 1978).

Nachdem Mitte-Jetzten Jahrhunderts die Beseitigung der Abwässer durch den immer stärker steigenden Verbrauch zum dringlichen hygienischen Problem geworden war, beriet ab 1867 eine Kommission unter der Leitung des berühmten Arztes Rudolf Virchow über die zukünftige Entwäs­serung Berlins . Nach einigen Vorversuchen zur Verrieselung auf dem Tempelhofer Feld legte 1872 der Bauingenieur James Hobrecht (1825-1902) einen Plan zum Bau eines radialen Rohr­systems und zur Verrieselung der Abwässer auf Flächen außerhalb der Stadt vor. 1876 wurden die Osdorfer Rieselfelder als erste Anlage dieser Art in Betrieb genommen. In den nächsten Jahren