OTIS 4(1996) 1/2: 78-143
Wichtiger als die Baumart sind Alter und Struktur des Horstbaumes. Zu junge Bäume sind weder von der Stabilität noch vom Kronenwuchs für den Horstbau geeignet; auch sind An- und Abflug hier oft erschwert. OEHME(1961) gibt bei mecklenburgischen Horstkiefern ein mittleres Alter von 110 Jahren und für Buchen und Eichen von 150 Jahren an. Eine stabile Horstunterlage ist Grundvoraussetzung für erfolgreiche Bruten und langjährige Horstbesetzung. Gehäufte Horstabstürze sind das Resultat zu junger Bäume mit instabilen Kronen, die aus der Not heraus bezogen werden. Eine zusätzliche Gefährdung könnte durch zunehmendes Auftreten extremer Witterungserscheinungen(Sturm) im Zusammenhang mit Klimaänderungen bestehen (LAMPING, H.& G. 1995).
Die Nähe zu Gewässern begünstigt Ansiedlungen, ist aber nicht zwingend notwendig. Es sind Brutplätze bekannt, die mehr als 6 km vom nächsten größeren Gewässer entfernt sind. Gewässer verschiedenster Art dienen als bevorzugte Jagdreviere, wobei die Präferenz nicht bei oligo- oder mesotrophen Seen liegt, sondern eher bei nährstoffreichen Gewässern mit entsprechend üppigem Nahrungsangebot. Insbesondere Fischteiche erfüllen diese Anforderungen(u. a. PANNACH und SPANK 1983, HOFFMANN& KOSZINSKI 1993). Neben den ortsansässigen Brutvögeln finden sich hier zu allen Jahreszeiten immature bzw. nichtbrütende Seeadler aus einem weiten Gebiet ein; Ansammlungen von bis zu 30 Seeadlern auf engstem Raum sind beschrieben (MUNDT und UHLIG 1992 a, T. NOAH in BRÄUNLICH et al. 1996). Die Nahrung setzt sich an den Teichen sowohl aus Produkten und vor allem Abprodukten der Fischproduktion als auch den anwesenden Wasservögeln zusammen. Wichtigstes Kriterium ist hier neben dem Nahrungsangebot eine relative Ungestörtheit. Touristische Erschließung hat nachweislich schon die Eignung von Teichgebieten für den Seeadler reduziert.
Zur tatsächlichen Ausdehnung des Jagdrevieres gibt es bisher kaum Informationen. FISCHER (1982) gibt pro Paar ein Jagdgebiet von 60-100 km? an, STRUWE-JUHL(1996) nennt für acht schleswig-holsteinische Brutpaare 62+ 34,9 km?. Neben der individuellen Kenntnis der Brutpaare und den Möglichkeiten, welche die Kennzeichnung mit Farbringen bietet(in Brandenburg nicht praktiziert), kann die Radiotelemetrie hier zu völlig neuen Erkenntnissen führen. Die satellitengestützte Fernerkundung eines im Landkreis Uckermark gerade flügge gewordenen Seeadlers(MEYBURG et al. 1994 und mdl.) zeigte, daß Schutzbemühungen, die auf die Horstumgebung und das dazu gehörige Nahrungshabitat beschränkt sind, viel zu eng gefaßt sind. Innerhalb weniger Monate bewegte sich dieser Jungadler in einem riesigen Raum zwischen dem nördlichen Brandenburg und der deutschen sowie polnischen Ostseeküste, verweilte gelegentlich und legte dann wieder immense Strecken zurück.
In Verbindung mit dem Lebensraum muß auch die Zusammensetzung der Nahrung im Rahmen von Schutzbemühungen berücksichtigt werden. Hierzu wurde innerhalb von J ahrzehnten durch eine Vielzahl von Beobachtern Erfahrungen gesammelt, die teilweise auch publiziert wurden. Der Seeadler ist demnach ein Nahrungsgeneralist, der Tiere von der Größe kleiner Singvögel und Nager über Fische verschiedener Arten und Größen bis hin zu Großvögeln und selbst (ausnahmsweise) Rehen erbeuten kann. Er kann Beute zu Land, auf dem Wasser und in der Luft schlagen, kann sich lange Zeit als Aasfresser durchschlagen und auch beim Kleptoparasitismus sehr erfolgreich sein. Im Zusammenhang mit Schutzbemühungen ist besonders das Vertilgen von Aas bedeutungsvoll, sofern es sich um Reste geschossener Tiere handelt(siehe 3.3. "Gefährdung").
Ansammlungen größerer Zahlen von Adlern werden gelegentlich als"unnatürlich" bezeichnet. Tatsache ist jedoch, daß zu allen Zeiten Seeadler von reichhaltigen Nahrungsplätzen angezogen wurden und sich dort auch(teilweise traditionell) in Scharen versammelten. Dies gilt auch für