LANGGEMACH, T.& H. KRÜGER
Innerhalb des Programmes zur Untersuchung der Verlustursachen von Großvogelarten in Brandenburg (vgl. LANGGEMACH 1999) gelangten die Reste des jungen Schreiadlers unverzüglich in das Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen(Berliner Betrieb für zentrale gesundheitliche Aufgaben), wo sie von U. Wittstatt obduziert wurden. Die Organreste waren für eine makroskopische Beurteilung kaum noch verwertbar, so dass sie pathologisch-histologisch untersucht wurden. Erkennbar waren markante Entzündungsprozesse in der Lunge sowie geringgradige entzündliche Veränderungen in der Leber und den Nieren. Eine bakteriologische Untersuchung erschien angesichts der Verschmutzung der Reste nicht erfolgversprechend. Weitgehend auszuschließen ist eine Pilzinfektion. Der Befund spricht für eine bakterielle Grunderkrankung des Vogels.
Bei der Spurensuche hinsichtlich des Täters scheidet ein Raubsäuger nach dem Fundbild aus. Unter den in Erwägung zu ziehenden Vögeln können Uhu(Bubo bubo) und Seeadler(Haliaeetus albicilla) mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Ersterer ist nach wie vor in Brandenburg ein äußerst seltener Vogel und wurde seit Beginn der Kontrollen im Großraum des Schreiadlerrevieres noch nie nachgewiesen. Seeadler tauchen zwar gelegentlich auf, werden jedoch, wie überall in Schreiadlerrevieren, stets heftig attackiert und dürften einen erbeuteten Nestling aufgrund des Abwehrverhaltens der adulten Schreiadler kaum unter dem Horst fressen können. Gelegentliche Prädation durch den Seeadler kann aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Da andere in der Nähe vorkommende Greifvögel(Mäusebussard Buteo buteo , Rot- und Schwarzmilan Milvus milvus , M. migrans) angesichts der Größe der Beute nicht in Frage kommen, bleibt als Beutegreifer nur ein Habicht(Accipiter gentilis). Ein Paar brütet regelmäßig im selben Wald und hat in der Vergangenheit auch schon einen anderen Schreiadlerhorst zur Brut genutzt.
Diskussion
Der Bruterfolg(bzw. die Fortpflanzungsrate) des Schreiadlers bewegt sich etwa zwischen 0,5 und 0,7 Jungen je kontrolliertes Paar. Im Mittel sind etwa zwei Drittel der begonnenen Bruten erfolgreich (SCHELLER& MEYBURG 1995, MAMMEN& STUBBE 1999). Ausbleibender Erfolg kann durch fehlende Befruchtung der Eier, Gelege- bzw. Nestlingsverlust oder Aufgabe der Brut verursacht sein. Hinzu kommt ein wechselnder Teil von Paaren, die nach der Revierbesetzung gar nicht zur Brut schreiten.
Für Nestlingsverluste sind verschiedene Ursachen nachgewiesen worden oder denkbar: Erkrankungen, Horstaufgabe nach Störungen, extreme Witterung oder Prädation. Die Erbeutung des Nestlings durch Beutegreifer stellt also nur eine von zahlreichen möglichen Ursachen dar, die zum Ausbleiben des Reproduktionserfolges eines Paares führen können. Gleichwohl wird sie oft zuerst in Erwägung gezogen. Sofern keine menschlichen Störungen vorausgegangen sind, gehört die Prädation zu den natürlichen Verlustursachen.
Da das Weibchen mindestens während der ersten beiden Wochen der Nestlingszeit ständig am Horst anwesend ist(SCHELLER& MEYBURG 1995) und sich auch in den folgenden Wochen in dessen näherer Umgebung aufhält, kann Prädation praktisch erst von einem bestimmten Zeitpunkt an erfolgreich sein. So waren die eingangs erwähnten vier erbeuteten Schreiadlernestlinge zwischen vier und sechs Wochen alt. In einem Fall sprach das Erscheinungsbild der Reste für einen Raubsäuger, am ehesten für einen Baummarder(Martes martes). Allerdings wurde in einem Wechselhorst des Schreiadlers in 18 m Höhe auch schon ein schlafender Wachbär(Prcyon lotor) gesehen(T. Langgemach, unveröff.) Das Brutplatzmonitoring des isolierten Schreiadlervorkommens im Hakel(Sachsen-Anhalt ) seit 1979 zeigte, dass hier der Baummarder die größte Rolle bei den Nestlingsverlusten spielt(STUBBE et al. 2000). Auch in Ungarn