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Band 19 Sonderheft
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Gewässer: Erstaunlicherweise zeigen die direkt an und auf den Gewässern lebenden Vogelarten die geringste Anzahl negativer Bestandstrends in den letzten 15 Jahren. Von den 45 an Gewässer gebun­denen Vogelarten weisen 11 Arten einen stabilen und 29 Arten einen überwiegend stark ansteigen­den Bestandstrend auf. Die Gründe für diese posi­tive Bilanz sind vielseitig. Insbesondere hat sich die Wasserqualität durch die enorme Verringerung der Nähr- und Schadstoffzufuhr deutlich verbessert. Dadurch haben sich die Pflanzenbestände sowohl unter als auch über der Wasseroberfläche erholt. So profitieren die Röhrichtbewohner von der Aus­dehnung vitaler wasserständiger Schilfflächen und Wasserpflanzen fressende Vögel von ausgedehnten Schwimmteppichen. Die Nährtierfauna für die wassergebundenen Vogelarten hat dadurch eben­falls zugenommen. Weiterhin vergrößerte sich die Anzahl der Gewässer, wobei den gefluteten Braun­kohletagebauen und einigen Kiesseen die größte Be­deutung zukommt. Hier fanden in den letzten Jah­ren neue Brutvogelarten günstige Lebensmöglich­keiten vor, etablierten sich und nahmen im Bestand zu. Aber auch einige durch Wiedervernässungs­maßnahmen entstandene Flachseen entwickelten sich zu neuen Brutplätzen für Wasservögel.

Auf der anderen Seite zeigen nur fünf Vogelarten einen negativen Bestandstrend in den letzten 15 Jahren. Allerdings führte die sehr starke Abnahme bei allen Arten zu einem Bestandsverlust von über 50 Prozent. Die überwiegend temporäre Kleinge­wässer bewohnenden Arten Krickente, Rothals­taucher und Waldwasserläufer litten vor allem an einer schnelleren Austrocknung der Brutgewäs­ser in Folge höherer Durchschnittstemperaturen. Die Bestände von Tafelente und Reiherente in den Teichwirtschaften brachen nach der drastischen Reduzierung der Fischfuttermengen im Zuge der Extensivierung zusammen.

Siedlungsbereich: Die Bilanz der Bestandstrends der Brutvögel städtischer und dörflicher Siedlungs­bereiche fällt in Brandenburg und Berlin für die letzten 15 Jahre deutlich negativ aus.

Von 25 typischen Brutvogelarten der Siedlungen weisen sieben einen stabilen Bestand auf(Ringel­taube, Nebelkrähe, Nachtigall, Klappergrasmücke, Amsel, Grauschnäpper, Haussperling). Bei lediglich drei Arten ist der Bestandstrend stark(Elster) bzw. sehr stark positiv(Straßentaube, Türkentaube).

Mit 15 Vogelarten zeigt die Mehrzahl der an Sied­lungen gebundenen Brutvögel jedoch signifikan­

Otis 19(2011), Sonderheft

te Abnahmetrends. Besonders betroffen sind die Gebäudebrüter bzw. Vogelarten die überwiegend in oder an Bauwerken nisten. Schleiereule, Mauer­segler, Rauchschwalbe, Mehlschwalbe, Hausrot­schwanz und Bachstelze nehmen stark und die Dohle sowie der Feldsperling sehr stark ab. Die oft alten und schadhaften Bauten boten den Gebäude­brütern bis Anfang der 1990er Jahre viele Nistmög­lichkeiten. Im Zuge der anschließenden rasanten Modernisierung oder des Abrisses maroder Ge­bäude, verschlechterte sich die Brutplatzsituation zunehmend. Zudem wurden früher an Gebäuden brütende Vögel größtenteils geduldet. An neuen Fassaden und durch die von Medien geschürten Ängste vor Ansteckung mit der Vogelgrippe werden Brutvögel an den Gebäuden jedoch immer weniger akzeptiert und vielfach vertrieben. In Folge des Bevölkerungsverlustes in nahezu allen Regionen Brandenburgs werden heute selbst sanierte Gebäu­de in Größenordnungen abgerissen, um dem Woh­nungsleerstand zu begegnen. Der Star und ganz besonders die Dohle verlieren sowohl Gebäude­brutplätze als auch Nisthöhlen in Bäume, da durch Verordnungen schadhafte Bäume aus Gründen der Verkehrssicherheit beseitigt werden müssen.

Ein weiterer weit verbreitet zu beobachtender Umstand ist, dass besonders samenfressende Brut­vogelarten spürbar im Bestand zurückgehen und so ihre direkte Abhängigkeit von Ruderalpflanzen und dem Vorhandensein von unversiegelten Flä­chen anzeigen. Bei Grünfink und Stieglitz ist der Bestandstrend inzwischen stark und bei Girlitz, Bluthänfling und Feldsperling sehr stark negativ. Die zunehmende Versiegelung von Wegen und Hof­flächen und eine permanente Pflege durch Mahd sowie Gestaltungsmaßnahmen durch Bepflanzen bis an den Wegesrand, schränken die Nahrungs­flächen dieser Arten immer mehr ein. Die Hauben­lerche findet ebenfalls immer weniger Lebensmög­lichkeiten durch den Verlust offener und spärlich bewachsener Ruderalbereiche in den Siedlungen. Ihre letzten Rückzugsplätze sind ganz überwie­gend die noch vorhandenen Großviehstallungen im ländlichen Raum. Für den Gelbspötter sind negativ wirkende Veränderungen in den Städten und Dör­fern weniger ersichtlich. Als Fernzieher ist er mögli­cherweise von Beeinträchtigungen auf dem Zugwe8 und im Überwinterungsgebiet stärker betroffen.

Für die Brutvögel im Siedlungsraum wäre es ZU­künftig notwendig, der natürlichen Flächendyna­mik in den Städten und Dörfern wieder mehr Raum zu bieten.