Issue 
(1917) 26
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Von der Heimat zum Vaterland.

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zwischen hat sich auch auf diesen Einzelgebieten ein bedeutungsvollerWechsel vollzogen. Nehmen wir eine Chronik aus dem 18. Jahrhundert zur Hand, dann beginnt jeder Verfasser mit der biblischen Schöpfung der Welt, unV im Geschwmdschritt durch den Dunst angeblich wissenschaftlicher Ueber- heferung uns eine Regentengeschichte zu geben, die nur äußerliche und ur­teilslos aneinander gereihte Tatsachen, nicht aber das Volk oder die Heimat als Träger des Geschehens kennt. Dadurch wurde ein Abstand geschaffen und gewahrt zwischen den aktiven und passiven Trägern der Geschichte. Auch das hatte kulturgeschichtlich seinen Wert, denn durch eine solche einseitige Geschichtsschreibung wurde eine Mechanik der Geschichte geschaffen, die in der Arbeit des einzelnen die Entwicklung erkennen mußte. Die Zeit war ja noch nicht gekommen für das Aufsuchen unbewußter Kräfte in dem Leben der Völker. Stets hat die Menschheit den Fortschritt in der Persön­lichkeit, nicht in der Sache selbst gesehen, weil sich dabei die Wünsche aus dem Vielerlei des Wandels am leichtesten auf eine Formel einigten, die jedem verständlich war. Namen wie Luther, der Große Kurfürst, Leibniz, Friedrich der Große, Blücher sind uns für die Bewegungen der Zeitalter mehr als eine Rcchnunglegung über die Ursachen und das Wachsen der Er­eignisse. Auch erlitt das Heimatgefühl keine Einbuße. Blühte doch unter jener Tatengeschichte die Volksüberlieferung um so kräftiger, je mehr sie ihre Ortshelden im engsten Umkreise fand, und das langsame Vorrücken des Zeigers auf der Weltenuhr in einem sagenhaft-dichterischen, aber sinnlich­anschaulichen Gefüge malte. Das lag dem Volke näher, als eine kritisch auf­lösende Tätigkeit der Geschichtsschreibung, die noch ihre Zunftstube hatte, ihre zünftlerische Verfassung festhielt, und die die Geschichte eines kleinen Gemeinwesens nicht als berechtigt anerkannt hätte, die aber erstarren mußte, als das Volksw issen und die Volksbildung eine breite heimatliche Geschichts­schreibung von unten auf schufen. Das Ende dieser Zeit ist das 18. Jahr­hundert. Der trockenen Aufzählung der Chronisten mit ihrer lateinisch-höfi­schen Sprache stellten die Gottsched, Lessing, Goethe und Schiller ein an­deres Bildungs- und Wissensideal gegenüber, das aus der Enge höfisch- zünftlerischer Geschichtsschreibung zu einer Analyse des Menschlichen in der Entwicklung führte.

Im 19. Jahrhundert vollzog sich die Umkehr zu einer nationalen Ge­schichtsschreibung. Dem Zeitalter der Romantik, das so eigenartige Geister wie die Brüder Grimm, den Freiherrn von Stein, v. Raumer, Riedel u. a. umschloß, schwebte eine solche Umarbeitung des Geschichtsstoffes vor; aber sie blieb bei dem Erkennen des Geschichtlichen noch in recht engen Grenzen oder erstickte die Schilderung in dem Geschichtsstoff. Aber wir verdanken ihm die Grundlage einer heimatlichen Geschichtsforschung, die nach wissen­schaftlichen Leitsätzen arbeitete, manchen Stoff ordnete und auch neue Quellen erschloß, die jedoch den Weg zu einer breiten volkstümlichen Dar-