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Von der Heimat zum Vaterland. 11
arbeitsfieudiger und dadurch arbeitsleistender in dem Maße, in dem ihm neben der Werktagstätigkeit die Heimat Wohnlichkeit, geistiges und körperliches Behagen bietet und ihn über die Schwere des Tageswerks hinwegbringt. Das sind Heimatfreuden, die neben der Heimatarbeit sprießen, und die ihm immer wieder neue Kraft geben. ~ Seit der Bauer vor hundert Jahren sich politische und wirtschaftliche Freiheit errungen hat, ist die Frucht der heimatlichen Erde außerordentlich gewachsen. Er arbeitet mit vollkommeneren Werkzeugen, kennt die wissenschaftlichen Grundlagen seines Wirkungskreises; er wohnt besser und er kann seinen Kindern eine gute Erziehung geben. Er hat Mußt genug, sich um das, was um ihn ist und einstmals w r ar, zu kümmern. Er steht dem Leben unabhängiger und unbefangener gegenüber, aber er ist stärker mit der Heimat verwachsen, die ihn geistig und körperlich nährt; sic hält ihn dadurch fester als äußere Bindungen. Und noch ein drittes Bild. Da verschlägt das Schicksal einen Fremden nach der Mark, dessen Wiege vielleicht Hunderte von Meilen entfernt gestanden hat. Er findet hier einen Wirkungskreis, Freunde, Familie, Heimat. Er erfüllt seine Pflichten als Bürger und vergleicht an manchem, was sich seinen Augen bietet, seine alte. Heimat mit der neuen. Er lernt diese schätzen und gewinnt durch Vergleich auch Verständnis und Liebe zu ihr. Wer anders als die Landeskunde gibt diesen drei Vertretern ganz verschiedener Lebenskreise die Kenntnisse ihrer! Umgebung? Und Kenntnisse sind die ersten Vermittler der Liebe. Sie liegen nicht immer offen zu Tage. Wie bei der Liebe zwischen den Geschlechtern spielen hier unwägbare Kräfte mit; aber das eine steht fest, daß mit dem Verständnis für die Umgebung die Anhänglichkeit wächst, daß selbst dann, wenn persönliche Beziehungen abreißen, die Erinnerung in dem Maße zunimml, in dem sie einst in die Tiefe gedrungen war.
Man spricht heute häufig von Heimatliebe, weiß aber oft nicht viel damit zu beginnen. Ist die Heimat der Ort, in dem der Mensch geboren ist, in dem er seine Kindheit verlebt hat, dann können diese äußerlichen Beziehungen aus verschiedenen Gründen erlahmen. Erst was von ihr aus seinen Weg in das kindliche Gemüt gefunden hat, was wie Frührotschein auch noch in den Lebensabend hineinleuchtet, ist dauernd und unvergeßlich. Manches 1 aus dieser Umwelt wird schon nach wenigen Jahren anders erscheinen, weil das Leben dauernd die Sinne beeinflußt; vieles wird dem gereifteren Urteile, das mit größeren Maßstäben arbeitet, vielleicht unwesentlich Vorkommen, aber die Frührotstimmung verklärt versöhnlich auch das Mindere und Unvollkommene. Auch 20 oder 30 Meilen entfernt sind noch gleiche Verhältnisse, sind Landschaft und Menschen noch wesentlich dieselben und erleichtern es dem Fremden, sich einzufühlen und heimatlich zu empfinden. So weitet sich der Heimatort zur Heimatprovinz. Noch im 16. Jahrhunderte konnte der Scholar Michael Franck von seinem Vaterlande Frankfurt, wie vor ihm der Chronist Angelus in demselben Sinne von Strausberg sprechen; heute hat das