Heft 
(1917) 26
Seite
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Klein-Machnow.

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trieben wurden die bösen Geister der Vergeltung, als die gutgeartete Ge­mahlin des Sünders den Armen Speise und Trank in großen Mengen reichte. Zur Erinnerung an jenes Unheil in der Familie des Burgherrn von Klein- Machnow wurde am großen Steintor des Burghofes, gegenüber der Kirche, ein Medusenhaupt, von Schlangen umrahmt, angebracht und darüber sieht man cm freundliches Frauenantlitz, das ist die damalige Schloßherrin, die als Geist der Versöhnung gewaltet und weiteres Unheil fern gehalten hat.

Die zweite Sage:

Die Brautkrone in der Kirche zu Klein-Machnow.

Ein Fräulein aus dem Geschlecht derer von Flake, Margarete genannt, hatte ihr Herz einem märkischen Edelmanne geschenkt, der ihre Liebe er- wiedcrte. Beide lebten glückliche Tage, und ihre Fierzen gehörten treu zu einander. Da rief die Kriegsnot den Geliebten fort von Margaretens Seite. Es war ein bitterer Abschied, als ahnten beide, daß es für die Ewigkeit sei v Der tapfere Krieger ist denn auch nicht wiedergekehrt, da er im Kampfe( gegen die Türken gefallen war. Margarete konnte den Schmerz nicht ertragen und fiel in Wahnsinn. Und statt der erhofften Myrtenkrone schmückte' sie sich mit einer anderen, die sie aus Kornähren formte. Das ist die Braut­krone, die noch heute in der Kirche zu Klein-Machnow aufbewahrt wird.

Die erste dieser Sagen knüpft an ein Bildwerk an, einen Schlußstein über einem Sandsteinportal, der den schlangenumrahmten Kopf der Meduse zeigt, worüber der Kopf einer Minerva sichtbar ist. Es ist also eine sogenannte ikonologische Sage, deren Ursprung aus dem jedem Menschen eingeborenen Kausalbedürfnis entstanden ist. Das Volk weiß nicht, daß ein Medusen­kopf zunächst nichts weiter als eine architektonische Verzierung ist und keine Beziehung zu dem Charakter der Bewohner des Hauses hat. Da ihm aber die Sache unverständlich ist, so sucht es in seinem Hange nach Begründung-, eine Erklärung, die seiner Auffassung von der Welt und den Dingen ent­spricht. Auf diese Weise erdichtete es sich einen Vorgang, der ihm den Grund dafür gibt, daß ein solches Bild angebracht wmrde. Die bekannte Büste ani dem Hause in der Heiligen Geiststraße in Berlin, die den NamenNeidkopf erhalten hat, mit der aber ursprünglich wohl auch lediglich eine architek­tonische Absicht verbunden war, hat ja ebenfalls eine Sage erzeugt.

Ich sagte, daß mit derartigen Schlußsteinen oder verwandten Ornamenten zunächst rein architektonische Zwecke verfolgt werden. Wie aber Architekten ihren Verzierungen gern einen tieferen Sinn geben, so hatte auch die Aus­gestaltung dieser Schlußsteine in Form von Fratzen, die die Zunge heraus­strecken oder Medusen eine besondere Bedeutung. Diese Bilder sollten die Abwehr des Bösen vom Hause symbolisieren. Das Volk jedoch, das von solchem Sinn nichts wußte, suchte nach einer eigenen Erklärung des ihm nicht Verständlichen und schuf sich die Sage.