Heft 
(1907) 15
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18. (11. außerordentliche) Versammlung des XIV. Vereinsjahres.

keine Fabrikglocke gebunden, sie essen wann sie wollen, sie unter­brechen die Arbeit, wenn es ihnen paßt, sie können ihre Kinder beauf­sichtigen und pflegen nnd sind solchergestalt scheinbar Herren ihrer Zeit.

Scheinbar! Denn in Wirklichkeit sieht die Sache vielmehr oft recht traurig aus. Nicht ungewöhnlich befindet sich Arbeitsstätte, Wohn- und Schlafgelaß sowie Küche in ein und demselben schlecht gelüfteten Raum. Auch leben viele Heimarbeiter keineswegs von der Heimarbeit allein, vielmehr verrichten sie solche nebenher d. h. neben der schweren 10 und mehrstündigen Hauptarbeit in den Fabriken oder sonstigen Groß­betrieben. Solche Heimarbeiter müssen sich nicht selten überanstrengen, um sich und die Ihrigen zu ernähren und das, wie erwähnt, in schlecht gelüfteten engen Wohnräumen.

Bei dem Rundgang wurden die einzelnen Industriezweige gemustert, welche bei der Heimarbeit hauptsächlich in Frage kommen. An den meisten fertigen oder halbfertigen Fabrikaten war die Arbeitszeit und das Arbeitsverdienst bemerkt, das von 2Zu Pfennig (!) für die Stunde bis auf allergünstigsten Falls 80 Pfennig in der Stunde steigt. In Berlin mit teurer Lebenshaltung sind selbstverständig die Mindestlöhne höher als auf dem Lande und in den Kleinstädten, immerhin aber kärglich genug.

So machte denn die Ausstellung einen tiefen, hoffentlich nachhaltigen Eindruck auf unsere Mitglieder, die deshalb auch 'mit besonderem Interesse vernahmen, daß man bei der Reichsregierung und im Reichstag gerade bei der Arbeit ist, die soziale Lage der Heimarbeiter zu verbessern. Ein sehr schwieriges, aber auch sehr dankenswertes Unternehmen. Möge es durch Wohlgelingen im Interesse unserer ärmeren Bevölkerung gekrönt werden. Das ist der herzliche Wunsch auch unserer Brandenburgia.

Nach Verlassen der Ausstellung fanden sich die Teilnehmer im Weinrestaurant Haus Trarbach, Behrenstr. 47, zusammen um über die gewonnenen Eindrücke einen Meinungsaustausch zu vermitteln.