Petri, Quellenmaterial zur Erforschung der kirchlichen Ortsgeschichte.
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Geschichte des Orts bis zur Gegenwart gegeben und dann in jedem Jahre, was sich wichtiges ereignet, eingetragen werden. Sofort kam eine große Bewegung in die Archive der Pfarreien. Zwar seufzten die einen, daß sie den Staub der Vergangenheit aufrühren sollten, die anderen aber gingen frisch ans Werk, als hätten sie nur auf die Anregung gewartet. Eine große Anzahl sorgfältiger Arbeiten kam zu stände, und für die Landesgeschichte lieferte die Ortsgeschichte manchen erwünschten Beitrag. Diese Forschung ist auch für die Einwohner des Orts zur Belebung der Ileimatsliebe und des geschichtlichen Sinnes ein Bedürfnis. Doch ist dies nicht der einzige Gewinn, den die Ortschronik bringt. Ein anderer kommt unmittelbar dem geistlichen Amte zu gute: die Gegenwart der Gemeinde wird aus ihrer Vergangenheit verstanden, die Zusammensetzung der Bevölkerung, der aristokratische Stolz dieser, die bescheidene Stellung jener Familien, die wirtschaftliche Lage und die konfessionelle Gestalt des Ortes. Gelingt es dem Geistlichen, auch die Sagen, Gebräuche, Lieder usw., welche in der Gemeinde heimisch sind, zu erfahren, so wird ihm dieses farbenhelle Bild des Volkslebens, das er gewonnen, eine Ermunterung mehr, mit seiner Predigt ins volle Leben hineinzugreifen.“
Und Pastor Ludwig Harms in Ilermannsburg, dieser Meister in der Erforschung der Ortsgeschichte und im Erzählen derselben sagt in der ersten seiner unter dem Titel: „Goldene Äpfel in silbernen Schalen“ veröffentlichten Erzählungen: „Ich will jetzt 1000 Jahre zurückgehen und eine mir sehr liebe Missionsgeschichte erzählen, die ich teils im Pfarrarchiv von Ilermannsburg, teils in einigen alten Lüneburgischen Chroniken gefunden habe. Ich sage: mir ist diese Missionsgeschichte sehr lieblich, denn nächstdem daß ich ein Christ bin, bin ich ein Lüneburger mit Leib und Seele, und kein Land in der ganzen Welt geht Hinüber die Lüneburger Heide. Und nächstdem, daß ich ein Lüneburger bin, bin ich ein Hermannsburger, und Hermannsburg ist mir das schönste und lieblichste Dorf in der Heide. Diese Missionsgeschichte betrifft aber eben mein liebes Hermannsburg. Von Jugend auf bin ich so eine Art Bücherwurm gewesen, und konnte ich etwas über Deutschland oder gar über die Lüneburger Heide oder gar über Hermannsburg finden, wie habe ich mich gefreut! Schon als Knabe, da ich das Buch des römischen Schriftstellers Tacitus über das alte Deutschland verstehen konnte, kannte ich keine größere Freude, als mit meinem Tacitus in der Tasche durch die Heide und Sümpfe und Waldungen zu streifen. Da las ich denn,
wie unsere alten Vorfahren so tapfer und stark gewesen-daß sie
so keusch und züchtig waren, gastfrei und edel.-Aber mein Herz
blutete auch, wenn ich ihre Sünden und Laster las, wie unersättlich die Kriegslust, die Raubsucht, wie furchtbar der Zorn, wie viehisch die Sauf- und Spielwut unter unsern Vorfahren gewesen ist, ihren unmensch-
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