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1. (1. außerordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.
i. (i. außerordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.
Sonnabend, den 7. April 1906, nachm. 3 Uhr. Besichtigung der Marienkirche.
Nachdem Herr Geheimrat Friedei, der I. Vorsitzende, die Versammlung begrüßt und Herr Kustos Buch holz die wichtigsten Daten aus der Geschichte des Gotteshauses nebst den nötigen Erläuterungen von seinen Kunstwerken gegeben hatte, ergriff der Herr Professor Dr. Seelmann das Wort zu dem Vortrage:
Der Totentanz von St. Marien in Berlin.
Den Totentanz hier vor uns hat vor mehr als vierhundert Jahren ein unbekannter, längst vergessener Mönch an die Wände der ehemaligen Kapelle gemalt, in der wir uns befinden. Seine handwerkmäßige Kunst reicht bei weitem nicht an die des Antwerpener Meisters heran, der fast 200 Jahre später in dem Grabdenkmale des alten Feldmarschalls Sparr, das uns im Innern dieser Kirche gezeigt wurde, ein Werk geschaffen hat, welches uns die Höhe der altflandrischen Kunst bewundern ließ. Trotzdem beansprucht die schlichte mittelalterliche Malerei in mehr als einer Beziehung höheres historisches Interesse. Die Figurenreihe, welche in einer Länge von fast 70 Fuß sich vor uns hinzieht, ist das älteste und größte gemalte Bildwerk, welches uns aus dem alten Berlin erhalten blieb, und in den Versen darunter, welche in der Sprache längst vergangener Jahrhunderte zu uns reden, erblicken wir die älteste berlinische Dichtung.
Bei keinem der alten Chronisten, in keiner der vielen uns erhaltenen mittelalterlichen Urkunden findet sich eine Erwähnung dieses Totentanzes. Die Reime und Sprachformen seiner Verse geben allein Zeugnis über die Zeit, welche sie geschaffen hat. Schreibung und Sprache weist deutlich auf das letzte Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts. Der Dichter muß ein Berliner oder doch ein Märker gewesen sein, denn seine Sprache bietet unverkennbar die landschaftlichen Eigentümlichkeiten der in Berlin und der Mark Brandenburg früher gesprochenen mittelniederdeutschen Mundart.
Die erste Erwähnung des Totentanzes findet sich in einer 1729 verfaßten Beschreibung der Marienkirche. „Nun wollten wir uns“, wird darin gesagt „zur Tür, so die Glockentür genannt wird, hinverfügen und zur linken Hand, wenn man zur Tür hineinkommt, an der Kirchenmauer inwendig den Totentanz ansehen. Allein dieser ist bei Renovierung der Kirche mit Kalk überstrichen und also, wenn ihn nicht