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1. (1. außerordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.
zweite Art stellen die Totentänze in Büchern dar, deren Bilder mit der Hand gezeichnet oder in Holzschnitt gedruckt sind. Ein solches Totentanzbuch ist auch der berühmte, unendlich oft neu herausgegebene Totentanz Holbeins.
Zu diesen beiden Arten tritt als dritte das Totentanzdrama. Die ehemalige Existenz desselben ist schon für das fünfzehnte Jahrhundert durch Nachrichten aus demselben bezeugt. Gute Gründe nötigen uns, demselben ein noch höheres Alter zuzuschreiben.
Es ergibt sich also die Frage, welche von den verschiedenen Arten des Totentanzes die älteste, die ursprüngliche ist. Diese Frage ist früher viel umstritten worden. Nach den neueren Forschungen*) kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Urform unserer Totentänze ein kleines Drama, eine sogenannte Moralite war, daß diese in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfaßt und in einem nordfranzösischen Kloster zum ersten Male aufgeführt wurde, und daß der Text dieser Moralitö uns in niederdeutscher Übersetzung und teilweiser Umarbeitung in den Versen des ältesten Lübecker Totentanzes erhalten ist.
Das Mittelalter kannte keine Schauspielhäuser, und die meisten der Dramen, welche aus dem 14. und 15. Jahrhundert uns erhalten sind, haben einen sehr geringen Umfang und entbehren vielfach, insbesondere die Moralitös, einer eigentlichen Entwicklung der Handlung. Sie waren kaum etwas anderes als eine Art Deklamatorien, welche von kostümierten Sprechern im Rezitativton vorgetragen wurden. Der alte lübische Totentanz umfaßte ursprünglich über 400 Verse. Wenn, wie anzunehmen ist, das Drama, aus welchem er enstanden ist, denselben Umfang gehabt hat, muß man es schon den größeren dramatischen Spielen seiner Zeit zurechnen.
Was ihm aber einen besonderen Reiz gegeben und gewiß zu seiner Beliebtheit beigetragen hat, war die große Menge und die Mannigfaltigkeit der prachtvollen Kostüme, welche die Zuschauer zu sehen bekamen. Traten doch Papst, Kaiser und Kaiserin und alle die geistlichen und weltlichen Würdenträger nach einander vor das Auge der Zuschauer. Auch der Reiz der Musik fehlte nicht. Ein oder zwei Pfeifer begleiteten mit ihren Tönen die Worte, und eine Stelle des Textes läßt sogar darauf
*) Vgl. W. Seelmann. Die Totentänze des Mittelalters. Norden 1893; Derselbe, Der Berliner Totentanz, Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jahrg. 1895, S. 81 ff., un die daran anknüpfende Literatur. F. A. Stoett, Jets over doodendansen. Noord an zuid, Bd. 16, S. 1 ff.; J. F. Moraaz, Nog iets over dodendansen. Ebd. Bd. 16, S. 240ff. Gaston Paris, Romania Bd. 24, S. 129ff.; Raphael Meyer, Den gamle danske Dödendans. Köbenhavn 1896; Bäumker, Kirchenlexikon. 2. Aufl. Bd. 11, Sp. 1883ff.; A. Goette, Holbeins Totentanz und seine Vorbilder. Straßburg 1897; W. L. Schneider, Zeitschrift für Bücherfreunde Jg. 2, Bd. 2, S. 291 ff.; P. Kupka, Über mittelalterliche Totentänze. Untersuchungen über ihre Entstehung und ihre Verwandschaftsverhältnisse. Stendal 1905 (Programmbeilage).