E. Handtmann, Musik-Problem aus der Priegnitz.
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Gottes von Lourdes“ führte unser Gespräch auch auf die Preußische Königsmelodie. Und da hörte ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß es einen Quellengesang solcher Klangweise in der Tat gegeben habe, der jetzt (d. i. im Jahre 1874) nicht mehr in Übung sei, da man bessere Hymnen und Melodien habe im katholischen Kirchengebrauch. (Ob wohl im Zurückdrängen jener alten Melodie nebst Text die seit 18(i6 besonders rege Abneigung des Ultramontanismus gegen alles spezifisch Preußische latent mitgearbeitet haben mag? Jene, angeblich aufgegebene, Melodie sei ursprüngliches Eigentum des Klosters St. Ainand les eaux bei Tournay in französisch Flandern, ihr Verfasser sei kein Geringerer als der berühmte Organisator der Kirchenmusik, Mönch Hucbald, um das Jahr 900 n. Chr. Mitteilungen, welche mir später aus Aachen, aus Oppeln, in Berlin zugingen, bestätigten solche Angabe des Pfarrers Mahr: alle indes waren und blieben so unbestimmt, daß sich ein sicherer Schluß nicht ziehen läßt.
Freilich: wie vielfach ist derartige Lage auf dem Gebiete der Forschung, insonderheit der Altertumsforschung! Als Volk-Lorist wie als Prähistoriker kenne ich solche Situation mehr als zur Genüge.
Ich bin weder Kenner der Musik noch der Musikgeschichte. Ich vermag zur Sache nicht mehr zu tun, als in vorliegenden Mitteilungen für Fachleute ein Problem aufzustellen, dessen Lösungsversuch mich jetzt nebensächlich 42 Jahre lang beschäftigt hat.
Was ich mutmaße ist folgendes.
Im Hennegau des alten Römischen Reiches Deutscher Nation, im Grenz-Treffgebiete der Landschaften Brabant und Flandern, wurden die schon zur Römerzeit berühmten Schwefelquellen jener Gegend von altgermanisch heidnischen Barden (vielleicht noch früher von keltischen Druiden!) im Volkssange gepriesen. Als nun bei der Christianisierung von Land und Volk König Dagobert nahe Tournay (flamländich: Doornick) seinem Freunde St. Amandus zu Ehren bei diesen Schwefelquellen ein Kloster errichtete, wandelten zur Desinfektion von heidnischem Wesen die klugen Mönche jene Quellen und die der Quellen Kraft preisenden Bardenklänge in eine Weihestätte und in Weihelieder für die Himmelskönigin) Jungfrau Maria, um. Ähnliches ist vielfach z. B. auch auf Kloster Marienberg bei Lenzen a. Elbe, der vermutlichen altslavischen Rethra- stätte, geschehen. Jungfrau Maria, aus deren Schoße das Heil der Welt entquoll, als Himmelskönigin in Wolken- und Erdquellhoheit, der*wol- kenreichen Juno Erbin: welch hoheitsvolle heidnisch-katholische Metamorphose! Wohl annehmbar ist die Sage, welche Hucbald, den berühmten Sangmeister und Verfasser des Organon Ilucbaldi, als Komponisten der Melodie eines in Kirchengebrauch übernommenen Heilquellen-Hymnus in seinem Kloster St. Amand les eaux nahe.der flandrischen Stadt Doornik preist. Wieleicht konnte von Wallfahrern solcher Quellen-Hymnus,