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E. Handtmann, Musik-Problem aus der Prignitz.
den der Sangesorganisator Ilucbald seinesteils immerhin den Urtönen vor ihm vorhandener Bardentöne nachgebildet haben mag, an andre der Maria geweihten Heilquellen gebracht — und wie leicht konnten durch Mönche, Nonnen, Schifter, Krieger und andres fahrendes Volk von Flandern her diese Klänge vom Jahre 900 ab über den Kanal hinweg ins nahe Brittanierland hinübergebracht werden. Einmal drüben und dem Volke unbewußt zu eigen geworden, ging, wie oft in entsprechenden Fällen geschehen ist, beim Entstehen des englischen Königshymnus- Textes „God save the Queen“ die im Volkssinn längst seßhafte Melodie auf die ohne weiteres in sie hineinpassenden nevien Textworte über! Mir selbst ist es geschehen, daß als ich ein neuverfaßtes Siedlerlied im Freundeskreise vor einigen Jahren vortrug, einer der Anwesenden dasselbe sofort nach der schwäbischen Melodie „Wie die Blümlein draußen zittern“ anstimmte. Das Volksgefühl arbeitet in solcherlei Verhältnissen sehr, sehr eigenartig, überspringt in recht wundersamer Weise die Regeln der Theorie!
Es ist doch eine auffällige Erscheinung, daß sich unabhängig von jedem englischen Einfluß nach schlesisch-böhmischer Überlieferung ein Auftauchen unserer Melodie in kirchlicher Gewandung in den Sudeten und im Salzburgischen feststellen läßt und daß von Böhmen und Schlesien her wie aus dem jetzt Bayerschen Frankenland als Ursprungsland der Sangweise das weiland Reichsland „Hennegau“ namhaft gemacht ward. Und daß zufällig mein alter Feldwebel-Leutnant vom Waterlooer Schlachtfelde durch den Hennegau nach Frankreich einmarschierend die seinem Bataillonsmarsch entsprechenden Klänge aus einem Kirchengesang heraustönend anno 1815 vernahm.
Möchte es Fachleuten gelingen, besser als es mir trotz 42 Jahre währender Zufallsbeschäftigung vergönnt war, das musikalische Dunkel über den Ursprung unserer Königshymnen - Melodie zu lichten.
Für jetzt stelle ich hiermit das Problem auf: Unsrer Preußischen Königshymne -Melodie istj nicht Lehnwerk von England her, sie ist altgermanisch, ist urdeutsch, dem weiland „Hennegau“ der Franken— oder wenn man will der Sigambrer — entsprossen, jenem von Deutsch redenden Menschen bewohnten Nieder-Lothringer Kreise des Alten Reiches.
Seedorf bei Lenzen a. Elbe, den 24. Februar 1906.