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11. (4. außerordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.
des Großen — und siehe da, in einem derselben hat man ein unzweifelhaft byzantinisches Stück dieser Art, das mit größter Bestimmtheit in das achte Jahrhundert zu datieren ist, gefunden. Ein weiterer grundlegender Beitrag zu der neuen Erkenntnis war damit gewonnen. Um diesen der Wissenschaft so ungemein wertvollen und wichtigen Stoffrest drehten sich denn auch die Haupterläuterungen des Vortragenden. Das auf zwei Seiten willkürlich beschnittene Tuch umspannt jetzt etwa l'.'j Quadratmeter und zeigt vier große Kreise, in denen sich unter dem Lebeusbaum der Sassanidenelefant, reich verziert mit Decken und Glocken, erhebt. Eine byzantinische Inschrift am unteren Rande, die einstweilen noch genauerer Forschung unterliegt, besagt, daß ein Ober- kännnerer Michael das Tuch in einer berühmten byzantinischen Weberei durch einen Werkmeister Petrus hat anfertigen lassen. Die Farben des 1200 Jahre alten Gewebes sind noch gut erhalten, man erkennt das Azurblau und Smaragdgrün — es ist das prächtigste Stück eines solchen Stoffes, das uns aus dieser Zeit erhalten ist. Wahrscheinlich hat man in ihm einen Rest der Decke zu erblicken, in welche ehemals der Leichnam des großen Kaisers gehüllt war. Das zweite Tuch entstammt späteren Jahrhunderten und hat für die schwebende Kunstfrage wenig Bedeutung. Ist es nun auch für die Wissenschaft weniger erheblich, so fällt es doch ungemein angenehm ins Auge durch eine geradezu bezaubernde Farbenpracht und einen seidigen Goldglanz, dem all die Jahrhunderte kaum etwas von seinem Duft haben rauben können. In kurzer Frist werden diese kostbaren Stoffe nun wieder in die Aachener Kaisergruft zurückwandern. Licht ist durch sie gewonnen worden für unsere Wissenschaft, nun kehren sie heim in ihr stilles Dunkel; das Auge keines jetzt Lebenden wird sie wieder erblicken. Die wenigen, denen es gestern vergönnt war, sie zu schauen, standen unter dem Bann dieser eigenartigen Tatsache, und selten mag einem Vortragenden solch fast feierlich lauschendes Auditorium beschieden gewesen sein.
Dieser einer Schilderung des B. L. A. vom 10. d. M. teilweise entnommenen Mitteilung sei eine kritische angeschlossen aus der Antiquitäten Rundschau vom 11.
Herr Geheimrat Lessing erwähnte in seinem Vortrag nebenher die bekannte Tradition, wonach Kaiser Otto III. im Jahre 1000 die Leiche des großen Kaisers sitzend auf dem Throne, angetan mit prunkvollem Ornat, geschaut haben soll, und der hervorragende Berliner Gelehrte weist die Legende von der thronenden Leiche in das Gebiet „phantastischer Erzählungen“, betonend, daß eine derartige Form der Beisetzung „fernab von christlichem Gebrauch“ liege. Gegen letzteres Argument möchte ich einen Einwand erheben. Wohl mag von einem „feststehenden Gebrauch“ in der christlichen Bestattung hinsichtlich „sitzender Leichen“ nicht die Rede sein. Alleiu auch die Legende hebt offenbar jene erste