12. (5. ordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.
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Volkstümliches Gebäck.
Von Elisabeth Lemke.
(Vortrag in der Sitzung vom 28. November 1906.)
Geehrte Anwesende! Zu den am häufigsten vernommenen Weisheiten gehört die Bemerkung über die Flüchtigkeit des Daseins; schon vor dem Ergrauen oder Verlieren unseres Haupthaares kommen wir dahinter, dass wir es mit dem Leben sehr eilig haben. Trotzdem können wir uns nicht darauf beschränken, nur die Gegenwart wahrzunehmen; wir beschäftigen uns auch gern mit der Vergangenheit, uns gewissermaßen mit dem von unseren Vorvätern Überkommenen auseinandersetzend. Da werden wir dann aus Tränmern Forscher, aus gleichgiltig Hinnehmendeu aufmerksame Beobachter: erwerben wir doch nichts geringeres, als das Verständnis für unübersehbar weit zurückliegende Zustände, aus denen unsere Zeit hervorgehen mußte, wie sie eben ist. Von ungezählten Punkten aus gibt es ein Erkennen des Weges, den die Kultur zu nehmen hatte. Während das Bewußtsein des Fortschritts uns mit freudigem Stolz erfüllt, berührt es uns gar traulich, dort in der unermeßlichen Ferne wahrzunehmen, was heute noch in liebgewordenen Sitten und Gebräuchen Geltung hat.
Durch Ausstellung vorgeschichtlicher Funde und durch Vorführung von kunstgewerblichen und anderen Erzeugnissen aus verschiedenen Zeiten hat das Märkische Museum den Brandenburgia-Mitgliedern so manchen Rückblick ermöglicht. Ja, die Brandenburgs war noch gar nicht geboren (ihr erster Geburtstag fällt in den Winter 1891—92), als schon ihr „Vater“ — unser verehrter Herr Geheimrat Friedei — daran dachte, daß auch „unser liebes Brodchen“ (wie meine ostpreußischen Landsleute sagen) in den Kreis der Betrachtung gezogen werden müßte. Doch nicht nur das Brot (in seiner Zusammensetzung, Form, Benennung usw.), sondern auch alle Semmeln, Zwiebacke, Kringel und Kuchen, alle volkstümlichen Gebräuche beim Backen und alle mehr oder minder sagenhaften Überlieferungen — wenigstens in Bezug auf Deutschland — standen auf dem Wunschzettel. Mit der ehrenvollen Aufforderung zu dieser Arbeit erfreute und erschreckte der Herr Geheimrat mich, die ich aber nicht den Mut dazu finden konnte. Die bloße Vorstellung der Gebäck-Gebirge benahm mir den Atem; so lehnte ich dankend ab. Um mich dennoch zu einem Versuch zu reizen, ward — bei Gelegenheit der Generalversammlung des Gesamtvereins der