Heft 
(1907) 15
Seite
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12. (5. ordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.

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Wie eigentümlich berührte es mich nun, als ich wenige Monate nach jener Mitteilung ein Seitenstück zu diesemzusammengezetzten Gebäck antrat, nämlich in Breslau, im Bürgermeisterzimmer des (i.J. 1328 gegründeten) Rathauses.Ein Ölbild auf Holz von 1537, von einem Maler der Cranachschen Schule, das Abendmahl darstellend, bietet Portraits damaliger vornehmer Breslauer, von denen wenigstens einige noch an den darüber geschriebenen Namen zu erkennen sind. In mehreren Exemplaren liegt auf dem Tisch ein Gebäck, das sich aus aneinander gereihten länglichen Brötchen zusammensetzt (so aneinander gebacken, wie die auch in Berlin bekannten gerösteten Zwiebacke.) Sie sehen, geehrte Anwesende, es läßt sich überall ein kleiner Beitrag aus- lindig machen, der unsern Forschern keineswegs als überflüssig erscheint; verdichtet sich doch dadurch das je nachdem nur leicht skizzierte Bild immer besser.

So ist es auch nicht überflüssig, zu bemerken, welchen Namen das bekannte gewundene Gebäck hier oder dort trägt: ob Kringel oder Bretzel oder sonstwie.In Salzburg, einem der frühest christianisierten Orte Deutschlands, wo sicher die altchristlichen Volksgebräuche sich länger forterhalten hatten, [sagt I loefler*), der die Bretzel zu den Ab­lösungen der Todtenbeigaben rechnet] fand am Kunigundentage in der Fasten (3. März) eine Bretzelspende statt, vermutlich in unbewußter Erinnerung an das Totenkult, der mit der altrömischen Märzfeier ver­bunden war. Die Verteilung der Bretzeln an die Armen, die sich als Seelenbrotspende auch am Allerseelentage findet, beweist erst recht den Seelenkult.

Herr August Förster sandte mir eine Mitteilung über die schlesischen Fastenbretzeln, von denen die Sage geht: daß sie vor Einführung des Christentums einen die Sonne symbolisierenden Ring darstellten, und daß die christlichen Sendboten die Beibehaltung der Sitte, Frühlingsanfang so zu begrüßen, an die Bedingung knüpften, daß ein Kreuz im Ringe hergestellt wurde.

Bemerkenswert für die Trauerbedeutung und für den Zusammen­hang der Fastenbräuche mit dem Totenkultus ist auch das Erscheinen des Knochengebäcks gli ossi in Livorno in der Fastenzeit. (Hoefler Bretz. 99.) In Verona erhielt ich (leider ohne Angabe der Zeit, wann solches Gebäck üblich ist) die Zeichnung des 21 cm langen und an den bedeutend verdickten Enden 6 1 2 cm breites bigarano, das einem großen Knochen entspricht. (Bigio aschgrau, bigio pane Schwarz­brot; aber die Worterklärung wird wohl anders gesucht werden müssen.)

Wie sich Bezeichnungen verschieben, beweist u. A. der gebackene Nicolo-Hase aus Partenkirchen (Bayern), der ein mit starkem Ge-

*) Hoefler, Bretzelgebäck S. 99.