Heft 
(1910) 18
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17. (12. außerordentliche) Versammlung des XVII. Vereinsjahres.

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die Länder dos europäischen Ostens bedeutsam. Großfürst Gedemin von Litauen (131G1341) nahm den Königstitel an. Das heidnische Litauen fand einen erbitterten Feind an dem deutschen Ritterorden, der in die Burg von llagnit 40 Ritter und 200 Krieger legte und seine Kraft frisch erhielt im Kampfe gegen den kriegerischen Gegner, bis Jagello von Litauen im Jahre 1386 die Taufe annahm und mit der Hand der Hedwig, der Erbin Polens, auch dessen Krone erhielt. Seitdem ist die Entwickelung Litauens und Polens trotz vorübergehender Trennungen eine gemeinsame, ebenso das Schicksal beider Länder, das durch die Teilung Polens be­siegelt wurde. Die preußischen Litauer sind brave Untertanen unseres Staates geworden und stehen, wie die Wenden fest zu Kaiser und Reich. Dabei haben sie in wirtschaftlicher und volkstümlicher Beziehung manches Eigenartige. Eine große Rolle spielt in Litauen die Pferdezucht (Tra­kehner); dagegen tritt der Kartoffelbau und die Geflügelzucht sehr zurück. Obst wird wenig gezogen. Das litauische Haus, aus Holzstämmen zu­sammengefügt, tritt vielfach noch als schornsteinloses Rauchhaus auf, bei dem der Qualm durch eine Oeffnung in der Gibelwand ins Freie tritt. Am Giebel sind aus Ilolz geschnitzte Pferdeköpfe als Zierde an­gebracht. Der Hausboden ist kein Wohn-, sondern Vorratsraum. Die Zimmer mit den kleinen Fenstern ohne Läden liegen um den Herdraum, den Flur. Der Stuhl ist ein seltenes Möbel; ihn vertritt die Bank. Die Frauen sind hervorragend geschickt im Weben und in der Stickerei; die Männer beschäftigen sich an Winterabenden mit Holzschnitzerei. Ab­sonderliche Anschauungen gelten hinsichtlich der Wertschätzung der christlichen Feste. Die Weihnachtsfeier tritt gegen die des Neujahrstages zurück; Johannisfest und Fastnacht werden dagegen besonders gefeiert. Am Fastnachtstage werden allgemeine Besuchsfahrten gemacht; sonst gedeiht angeblich der Flachs nicht. Gemeinschaftliche Arbeiten (Spinnen) und Schmausereien begünstigen die Pflege des Gesanges. Die Einladung zu Hochzeiten überbrachten früher reitende Burschen, die ihren Ritt zuweilen bis in die Stube fortsetzten. Bei der Hochzeitsfeier wird eine Zimmerecke zumBrautwinkel ausgeschmückt, und die Gäste bemühen sich, diesen Raum vor dem Brautpaare zu gewinnen, das in diesem Falle ein Geschenk zu verabreichen hat. Die Braut beschenkt die Angehörigen mit Handtüchern, Handschuhen und Gürteltüchern, um sie für den Verlust ihrer Arbeitskraft zu entschädigen; das Brautpaar erhält als Hochzeits­geschenk vorzugsweise Geld. Kinder glaubt man vor der Taufe von bösen Dämonen bedroht; daher hängt man ihnen bis dahin ein Blatt aus einem heiligen Buche auf die Brust. Ist das Kind ein Jahr alt, so legt man es auf die Türschwelle und prügelt es, damit es artig bleibe. Tote werden auf Sand gebettet. Beim Totenschmause stellt man ihnen Speise und Trank auf den Tisch. Der Sargdeckel hat gewöhnlich ein besonderesFach für eine Flasche Branntwein. Grabkreuze zimmert

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