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18. (6. ordentliche) Versammlung des XVII. Vereinsjahres.
Nauendorff wollte als Ludwig XVII. gern regierender König von Frankreich werden. Umrahmt von einer großen Zeit, in der die gewaltigen Bewegungen der französischen Revolution, der Napoleonischen Weltherrschaft, der Erniedrigung und Erhebung Preußens zusatmneu- trafen, erscheint die Geschichte, speziell die Spandauer Geschichte des Prätendenten Nauendorff als ein Kleinbild von ganz eigenartigem, ortsgeschichtlichem Reiz. Die Vorgeschichte Nauendorffs ist dunkel. Die einen bezeichneten die Niederlausitz als sein Heimatland, die Akten des Pariser Ministeriums nennen ihn einen „Juden aus Preußisch-Polen, der mit hölzernen Uhren hausierte“, er selbst gibt vor — nach dem Kirchenbuch von St. Nikolai — der einzige nachgelassene eheliche Sohn des verstorbenen Bürgers und Fabrikanten, auch Gutsbesitzers bei Weimar, Herrn Gottfried „Naundorf“ (der Name hat verschiedene Schreibung!) zu sein. — Im Jahre 1812 siedelte Nauendorff von Berlin, wo er zwei Jahre geweilt hatte, mit einem Empfehlungsschreiben des Berliner Polizeipräsidenten und Staatsrats Le Coq wohl versehen, nach Spandau über. Hier stand sein Haus (das kleine Haus in der Breiten Straße nahe der Kammerstraße, dessen Stätte jetzt der Riesenbau des Warenhauses von Hirsch umschließt), hier wurde der Handwerker und Uhrmachermeister ehrsamer Bürger der Stadt, der nach den Bestimmugen der unlängst edierten Städteordnung den Bürgereid (in der Uniform der National-Garde) auf dem Rathanse ordnungsmäßig ablegte und alsbald mit Bürgerbrief und Bürgerrecht ordnungsmäßig bedacht wurde. Die Unterschrift gab der erste Bürgermeister nach Einführung der neuen Städteordnung Johann Christian Kattfuß (f 1822). Nauendorff w r ar in Spandau als Bürger (ein städtisches Ehrenamt scheint er nie bekleidet zu haben), als Uhrmacher und als Mensch wohl angesehen und beliebt. Noch im Jahr 1845 rühmte man ihn und zeigte dem holländischen General Steuerwald, der dem Spandauer Vorleben „Ludwigs XVII.“ emsig nachforschte, verschiedene „Pendulen“, die Nauendorff gefertigt oder repariert hatte. Es ist derselbe Generalleutnant und Inspekteur der niederländischen Artillerie Steuerwald, dem „Madame Preiß“ (die Witwe des ehemaligen Subrektors und Kantors Preiß, des ältern, die iu der Nagelgasse — Marktstraße 1 — wohnte) von jenem merkwürdigen goldenen Medaillon, „attacbe par un ruban noir“, erzählte, das sie einst, in den dreißiger Jahren, bei einem Logierbesuch des Freundes iu ihrem Hause über seinem Bette hängend gefunden habe; — es war das Bild Ludwigs XVI, von dem unvermutet hinzutretend Nauendorff bekannte: „So war es einen Gott gibt, das ist mein Vater!“ In Spandau sprach Nauendorff wenig von seinem Prätendententum; nur ab und zu eine leise Andeutung im vertrauten, verschwiegenen Kreise. Bei seinem Fortgang aus unserer Stadt (1822) wurde er offener: Er lud die Freunde und Nachbarn zu Tische. Das nächste Mal, so vernahm man, hoffe er, der