Vom modernen Berliner Murmelspiel.
Von Bernhard Schmidt, Berlin.
Die Fortschritte unserer Kultur zeigen sich auch am Spielzeug unserer Kinder. Dies beweist selbst einem flüchtigen Beobachter ein Gang durch eine Spielwarenhandlung. Dort wird er manches Stück aus der Zeit seiner Jugend vergeblich suchen, einiges stark verändert finden (vor allem luxuriöser und komplizierter ausgestattet) und vieles erblicken, das ihn nur als Modell heutiger Maschinen und Yerkehrsgeräte anspricht. Gewiß bedauert dies mancher^ weil er das dadurch beförderte Äusschalten der Phantasie ungern sieht. \ Mit Freude kann man aber feststellen, daß sich (besonders bei den Knaben) ein Gegenstand noch der alten Anhänglichkeit erfreut: die M nrmel (auch „ Murks 11 genannt). Es sind dies kleine Kugeln, deren Durchmesser selten größer als 1 cm ist. Meist sind sie aus gefärbtem Ton gebrannt^ Man bekommt fünfzig Stück für zehn Pfennige. Etwas teurer, meist auch größer, sind die Glaskugeln mit farbigem Fluß. Sie werden als Besitz zwar sehr geschätzt, zum eigentlichen Spiel aber nur recht selten benutzt. — Ist die Freude am Spiele mit ihnen die gleiche wie früher geblieben, so sind die Regeln bedeutend vielseitiger geworden. Unserer heutigen~'Jugend genügen die ehemaligen einfacheren Formen nicht mehr. Ihre Lektüre erregt stärker ihre Phantasie. Die Entwickelung des modernen Lebens verlangt auch von ihnen schärferes Denken. Nervenkitzel suchen unsere Knaben darum auch im Spiel. Wie sie sich diesen mit den Murmeln bereitet, soll an den Regeln gezeigt werden, die zurzeit im Osten Berlins gebräuchlich sind. (Von den interessanten landschaftlichen Abwandelungen dieser Spielgebräuche soll heute nicht die Rede sein.)
Kommt da ein „ Sechserkeese “ (kleiner Junge) mit seinem Murmel- beutel an. Irgend ein anderer^ trifft und fragt ihn, z. B.: „WoÜ’n wir murksen? “. „Hast de Lust?“, „Traust de dir?“ Der Ehrenkodex verlangt, daß jede Aufforderung angenommen oder mit einer Begründung abgelehnt werden muß, z. B.: „Nee, ick muß zu Hause!“ Der Herausgeforderte gibt event. auchjgleich die Spielart an.
Die einfachste Weise heißt: „Kliepern “. A. schiebt eine Murine? voraus, worauf B. sie mit seiner zu treffen sucht. Gelingt es ihm, so hat er sie gewonnen. „Kliepert“ es nicht, so ist A. wieder „dran“.