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Vom modernen Berliner Murmelspiel.
Zahl Marmeln enthalten ist. Trifft er es, so gewinnt er entweder einen vorher verabredeten gemeinsamen Einsatz oder die vorgehaltenen Kugeln. Verfehlt er es, so verliert er entweder seinen Einsatz oder innß dem Frager soviel Murmeln geben, wie dieser in der Hand hat. — Eine andere Frage lautet: „Wieviel Reiter steh’n vors Tor?“ Vorher ist verabredet worden, ob sich die zu erratende Zahl bis zehn oder zwanzig erstrecken darf. Der Antwortende gewinnt alles, wenn er es richtig angibt. Im anderen Falle muß er, je nach Abmachung, entweder die richtige Zaiil der Murmeln dem Frager spenden, oder nur soviel, wie die Differenz zwischen der genannten und der wirklichen Zahl beträgt. Da bei dieser Weise der Frager bedeutend im Vorteil ist, wechseln nach jeder Begleichung die Rollen der Spieler.
Nach Beendigung eines Spielgauges wird natürlich die übliche „ Leichenrede “ gehalten. Fast jede Ansprache beginnt mit der Allerweltsanrede „Mensch“. — „Hast du aber gesackt! “ (= viel gewonnen) oder: „Bist woll ltinmacher sein Sohn?“ sagt man bewundernd zu dem Gewinner. Der Besiegte drückt seiuen Kummer mit den Worten aus: „Ick hab’ aber verbuckt!“ (= viel verloren, oder in Verbindung mit „sein“: habe nichts mehr). Wer garnichts mehr besitzt, ist ..bahm“. „bamm“, „klamm“ , „bald“ , „ alle“ , „ab“ . Er muß aufhören, falls ihm nicht Kredit gewährt wird. Letzterer bringt natürlich immer Glück. Dem Ungeschickten wirft man leicht vor, er sei ein „ Topper“ oder eine „feige Memme “ und habe „keene Traute“ (= wagt nichts). Unter keinen Umständen darf er aber während des Spiels seine Verluste ziffernmäßig feststellen; denn dann verliert er sicher noch mehr. Er muß das bis zum Abend aufschieben. Zwischendurch tröstet er sich und seine Leidensgenossen mit dem Worte: „Wer zuerst gewinnt, wird zuletzt ein armesKind!“ oder drastischer: „Die ersten Pflaumen sind madig!“ und versucht abermals sein Glück. Allerdings wird er nie versäumen, wenigstens leise anzudeuten, daß der Gewinner „beschummelt“, „beschuhst“ oder„bemogelt“ (= betrogen) haben könnte. Außerdem hat er in diesem oder jenem wichtigen Moment ,,die Murkse nich ausfunzeln (= auslaufen) lassen“ etc. Schließlich hat auch noch „das Topp“ schuld. Es ist dann nämlich immer „ausgeleiert “, „ausgenudelt“ oder „ausgefunzelt“ (d. h. aus diesen oder jenen Gründen nicht gut zum Spiel geeignet, z. ß. wegen zu geringer Tiefe, oder wegen einer Buckelung des Bodens vor dem Loch). Aber gerade diese Besonderheit, falls sie wirklich besteht, macht es für die darauf „eitx - gefunzelten“ (= eingeübten, eingespielten) Knaben zu ihrem „ Glückspott“, zu dem sie stets das Spiel zu bringen trachten. Gewöhnlich sind das sehr geschickte Kämpfer. Jede Klasse, jede Straße hat dergleichen Berühmtheiten. Der Schwächling kennt sie und geht ihnen aus dem Wege, um nicht herausgefordert zu werden. Meistens sind diese Helden auch sehr geschickt im Ausnutzen unbewachter Augenblicke. Die stets
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