Heft 
(1910) 18
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Pr. <irab"w.

So bitte ich Sie denn, vor allen Dingen Mißtrauen zu hegen gegen das Vorurteil, daß wir deutsche schreiben, wie wir sprechen, und sprechen, wie wir schreiben. Das ist nicht wahr: wir schreiben einerlei ch. r, »r, //, und sprechen zweierlei ch. c, w. und können das // auf achterlei Weise aussprechen. Wie schreiben /V und sprechen kurzes i usw. z. B. in vierzehn und wirft mir jemand ein: dann sprechen wir es unrichtig, so halte ich ihm das WortArgwohn dagegen, das noch nach dem 30 jährigen Kriege ganz richtig dem Wortsinne nach Argwahn gesprochen wurde. Spräche man heute das richtige Wort, so spräche man unrichtig: heute spricht man das fälsche Wort Argwohn, uud dies falsche ist richtig. Wir ziehen hieraus die Lehre: der Sprachgebrauch ist das ent­scheidende: wenn in vier das i lang gesprochen wird, so ist das richtig; wird es in vierzehn kurz gesprochen, so ist auch das richtig, uud die Aussprache vierzehn mit langem i unrichtig.

Wo wird denn nun unser Hochdeutsch am richtigsten gesprochen? Viele sind der Meinung, daß das in Hannover geschehe, denn da ßteht und ßpricht man und schreibt doch einfaches s. Wenn man aber die Einwohnerzahl aller der Gegenden, wo geßtanden und geüprochen wird, zusammenzählt, und davon gesondert die andern Gegenden, wo man schteht und schpricht, so wird man bald rechnerisch feststellen, daß kaum ein Siebentel aller Deutschen sp und st spricht, mehr als sechs Siebentel schtehen und schprechen, also ist die Hannoversche Aussprache des sp und st unrichtig, und wir Märker und Berliner sprechen in diesem Falle unsere hochdeutsche Literaturspraclie richtig. Es handelt sich ja nicht um die Aussprache dialektischer Besonderheiten sondern um die Aussprache der von unser» Klassikern geschaffenen Meisterwerke, und die Frage, wo man diese am besten und reiusteu vernehmen kann, läßt sich ganz kurz und ziemlich richtig dahin beantworten;Auf den besten Bühnen Deutschlands.

Es sollte wenigstens so sein,

Man darf aber nicht glauben, daß diese Aussprache eine durchaus einheitliche in Nord- uud Süddeutschland durchaus gleiche und fehler­freie ist. Das ergiebt sich aus der Schrift von Theod. Siebs:Grund­züge der Bühnenaussprache, wo es auf S. 1 heißt:

Die Aussprache an den Bühnen des deutschen Sprachgebietes und im Munde der einzelnen Schauspieler ist nicht durchaus gleich, sondern zeigt gewisse Unterschiede, die sich zumeist durch Einwirkung des Schriftbildes oder der Mundart erklären und teils bewußt, teils unbe­wußt gesprochen werden. Diese Unterschiede haben nun in einer be­sonderen vom Grafen Hochberg angeregten Konferenz durch eine aus­gleichende Regelung beseitigt werden sollen, enthalten aber eine Menge ganz unrichtiger Bestimmungen, weil die mit der Regelung beauftragten Herren Sachverständigen viele hierbei wesentliche und wichtige Gesichts-