15. (6. ordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres. 23
rate empfingen ihn am Wagen. Seine Worte waren: „Ein sehr unglückliches Ereignis führt mich hierher.“ Jetzt wußten wir das Unglück der Armee aus dem Munde des Königs selbst, nun konnten wir nicht mehr daran zweifeln. Unglück vereint die Herzen noch näher; dies zeigte sich auch bei der Ankunft unseres unglücklichen Königs. Vor seinem Fenster standen Hunderte von Menschen aus allen Ständen mit Traurigkeit, aber herzlicher Liebe zu ihm, man geizte nach seinem Blicken, suchte Trost in seinen Zügen zu lesen, aber man fand keinen, denn ernst und traurig hingen seine Blicke an der versammelten Menge.
In der Begleitung des Königs waren der Erbprinz von Sachsen- Koburg, der Etatsminister v. Haugwitz, die Generale v. Zastrow und v. Köckeritz und der Major v. Jagow nebst dem Hauptmann v. Pirch vom Generalstabe.“
Die Königin*) war am 13. Oktober der Armee von Weimar aus auf der Straße nach Auerstedt gefolgt. Vor Auerstedt begegnete ihr der Herzog von Braunschweig, der der Königin riet, da Naumburg bereits vom Feinde besetzt sei, umznkehren. Der König, den sie hatte rufen lassen, stimmte dem Rat des Herzogs zu; die Königin nahm bewegten Herzens vom Könige Abschied und kehrte nach Weimar zurück, wo sie um 6 Uhr eintraf und auf dem Schloß Wohnung nahm. Am nächsten Tage den 14. Oktober, an dem die preußischen Waffen bei Jena und Auerstedt unterlagen, wurde die Reise über Erfurt, Langensalza, Mühlhausen, Dingelstädt bis Heiligenstadt fortgesetzt. Die Oberhofmeisterin Gräfin Voß schreibt in ihrem Tagebuche: „Um 5 Uhr früh reisten wir zum zweiten Male von Weimar ab in der tödlichsten Angst und Unruhe um das Geschick des Heeres und der Unseren! — Bailloz, der Leutnant Jagow und 60 Mann eskortierten uns bis Langensalza. In Erfurt sahen wir einen Moment Haugwitz und Lucchesiui. Abends kamen wir nach Heiligenstadt. Der geschlossene Wagen der Königin war unterwegs zerbrochen; sie fuhr in dein offenen Wagen von Buch, und wir fuhren mit den Kammerfrauen. Spät in der Nacht kamen wir an und übernachteten bei einem Kammersekretär.“ Von Heiligenstadt reiste die Königin am 15. Oktober über Göttingen nach Braunschweig und kam hier spät abends an. Am 16. brach sie früh 5 Uhr von Braunschweig auf und erreichte über Tangermünde**) am 17. abends Berlin. In Brandenburg erhielt die Königin durch einen Feldjäger ein Schreiben des Generaladjutanten Obersten v. Kleist vom 14. Oktober, das die
*) Vergl. P. Bailleu. Königin Luise im Kriege 1800. Deutsche Kundschau. Heft 1. Oktober 1906. Aus einer demnächst erscheinanden Biographie der Königin Luise.
**) Hier blieb die Königin die Nacht und wohnte im Hause der Witwe Hecht, deren Mann Schiffseigentümer gewesen war.