Heft 
(1907) 16
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ßO 16. (7. ordentliche) Versammlung des XV. Vereinsjahres.

ihren vielseitigen, die Phantasie fesselnden Koitus mit den Gebräuchen des bezwungenen oder allmählich verblichenen Heidentums zu verbinden verstand. So ist es auch in der Mark Brandenburg zugegangon. Die Christmetten mit ihren derben Späßen im Halbdunkeln vor Tau und Tag innerhalb der kirchlichen Gebäude, wo der Geistliche wohl selbst mit kräftiger Stimme das Ochsen- und Eselgeschrei zum Andenken an die Krippe von Nazareth anstimmte, um das Christkindlein vor der prächtig geschmückten Krippe mitsamt der Mutter Gottes und dem braven Josef zu begrüßen, sodann der Umzug der heiligen Drei Könige Kaspar, Melchior und Baltasar, dargestellt von armen verkleideten Kindern, die aufgeputzt singend von Haus zu Haus zogen und den Stern von Bethlehem drehten, das alles sind Anschlüsse des Frühchristen­tums in unserer Gegend an die im Volk lebenden noch früheren heid­nischen Sitten und Gebräuche.

Den ersten Beginn der Weihnachtsmärkte leite ich auf die Buden zurück, die sich unter besonderer Obhut der Geistlichkeit an die ältesten Gotteshäuser von St. Nikolai, St. Marien und St. Petri anlehnten, in denen allerhand kirchlicher Tand, Votivgaben, Pilgerandenken, kleine, geweihte Geschenke, insbesondere aber Wachskerzen jeder Größe feil­gehalten wurden.

Spielten diese geweihten Kerzen überhaupt schon im christlichen Kult eine bedeutsame Rolle, so besonders in der Frühmorgenfeier des ersten Weihnachtsfeiertages, in der Friihmette, wo jedermann für sich in der absichtlich dunkeln Kirche ein Licht mitbrachte und noch mehrere davon als Opfer spendete. Diese Lichte wurden auf vorhandene, mit Dornen ausgestattete Eisenringe gesteckt, die sich in parallelen Reihen pyramidenförmig nach oben zuspitzten und auf einem Holzstamm standen*). Das waren die Weihnachtsleuchter oder Weihnachtsbäume, aus denen im Laufe der Jahrhunderte das, was wir als Weihnachts­pyramide und Weihnachtsbaum kennen, entstanden ist. Hierbei ging es im Halbdunkel während der Weihnachtsfeier arg genug her, die Weih­nachtsbäume wurden umgestoßen und verursachten Brände. Daher hing

man vielfach die Lichterpyramiden als Weihnachtskronen an der Kirchendecke

auf. Von der protestantischen Zeit an nahmen, woran auch der durch das Herrscherhaus künstlich geförderte nüchterne Calvinismus nichts zu ändern vermochte, die Weihnachtspossen in der Kirche derart überhand, daß schon unter dem Großen Kurfürsten und dem ersten preußischen König Verordnungen dawider erschienen. Nun wurde der Trubel auf die Straße verlegt, mit Mummereieen, Aufzügen u. dgl., bis unter dem

*) Ein eisernes Exemplar z. B. im Dom der Lebuser Bischöfe zn Fürstenwalde a. Spree, ferner im Dom zu Havelberg. In alten katholischen Kirchen, wie in Salz­burg, werden diese Lichterbäume aus Eisen noch heut benutzt.