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Robert Mielke.
Bogen hätte machen müssen. Der Kanal, welcher zu Potsdam gehört wie der Park zn Sanssouci, ist in Gefahr zugeschüttet zu werden, und hinter den schlichtvornehmen Fassaden mancher friderizianischen Häuser erhebt sich der drohende Schatten eines Riesenwarenhauses, von dessen entstellender Wirkung bereits zwei kleinere beredtes Zeugnis ablegen. Es wäre unbillig, zu verkennen, dass die Erhaltung — namentlich des Kanals — mit erheblichen Opfern erkauft werden muH; aber diese Opfer stehen in keinem Verhältnis zu dem ästhetischen Gewinn, den Gegenwart und Zukunft haben. Von Nationalökonomen ist wiederholt eindringlich darauf hingewiesen, daß das reine Nutzbarkeitprinzip durchaus unwirtschaftlich ist und daß auch ideale Werte sich gut rentieren.
Unsere Zeit verlangt ihr Recht, wie es jede Zeit verlangt hat; aber dieses Recht darf kein kaltes schneidendes Vernichten sein, sondern ein versöhnendes Ausgleichen, das alt und neu vereint und nicht trennt.
Wie in den großen, so ist es auch in den kleinen Städten. Unsere Provinz hat außer Kirchen, Rathäusern und Stadttoren selten hohe künstlerische Werte anfzuweisen; aber in den schlichten Häusern der Bürger liegt doch soviel Heimatliches, das uns als liebe Ei'innenmg auch in die Ferne folgt, soviel gemütswarme Zufälligkeit, die uns eine neue Bauart so leicht nicht wieder geben kann. Selbst der manchmal starre, philisterhafte Zug im Gesichte unserer Städte mutet uns freundlich und heimisch an, weil die Werke, die ihn tragen, selten mit einem Male liingesetzt, sondern langsam geworden sind. Das ist das wesentlichste in den alten anspruchslosen Ortsbildern, daß sie jahrhundertelang der Atem der Geschlechter gebräunt hat, während die Gegenwart gerade mit Vorliebe ganze Stadtviertel ans einer Schablone — aber nicht aus einem Geiste! — schafft. Und gehen wir vollends auf das Land hinaus, wo noch viele alte Dörfer uns freundlich anmuten, wo über den Strohdächern sich der Rauch emporringelt, dann schwindet dieser Typus des märkischen Dorfes zusehends, je näher wir einem Groß- und Industrieort kommen. Die Bewegungslosigkeit und Beengtheit des dörflichen Lebens ist häufig geblieben; aber in vox-dringlicher Weise haben sich verschnörkelte Häuser breit gemacht, mit bunten Dächern, die wie Stickereien aussehen, mit einem Portikus auch wohl und dem ganzen sinnlosen Gemenge unwahrer Bauphrasen, die im 19. Jahrhundert Unkultur und Dürftigkeit ersonnen haben.
Unsei-e Arbeiten sind also sowohl erhaltender wie auch vorbeugender Art; sie sind darauf gerichtet, den Besitz zu sichei-n, wie auch dahin, neue Formen mit dem Bestehenden zu versöhnen. Wenn wir indessen das Vorhandene zu sichern suchen, so folgen wir keineswegs musealen Stimmungen, welche das Alte unter allen Umständen bewahi-en wollen, weil es alt ist, sondern weil wir es mit dankbai-en Gefühl der ersten Kindheitstage empfinden, das in dem wui-zelt, was die Augen zuerst