Heft 
(1907) 16
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5. (2. ordentliche) Versammlung des XVI. Vereinsjahres.

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geäußert. Hinsichtlich des Alters stritt man sich, ob er diluvial oder recent, oder endlich gar tertiär sei. Was die Abweichungen vom heutigen Menschen betraf, so vertrat der Entdecker Fuhlrott, wie nach ihm Schaffhausen, den Standpunkt, daß es eine besondere primitive Menschen­rasse sei. Der schärfste Gegner war Virchow, der ihn für ein krank­haftes Exemplar der heutigen Menschheit hielt und zwar mit merkwürdiger Sicherheit für einen Merovinger. Geologisch ist es auch heute noch nicht möglich, über das Alter dieser Knochenfunde etwas bestimmtes auszusagen. Die Archäologie könnte zu Hilfe kommen; denn einfache Feuersteinwerkzeuge wurden in der Nähe gefunden, aber es hat sich nie ermitteln lassen, ob sie den Fundumständen nach eine Beziehung zu den Knochenresten gehabt haben. Erst das Auffinden anderer ähnlicher Knochen hat hier Licht verbreitet. Es sind die Funde von Spy in Belgien (Reste zweier Skelette mit mehr oder weniger gut erhaltenen Schädeln, dazu einfache Feuersteinwerkzeuge vom Chelleo-Mousterien- Typus), La Naulette (Unterkiefer), Malarnaud (desgleichen), Taubach (Zahn) und der reiche Fund von Krapina in Kroatien. Der letztere hat vor allem den Vorzug, daß die geologischen Umstände sehr genau festgestellt werden konnten. Wir wissen, daß der Mensch von Krapina, von dem uns sehr viele, aber meist zerbrochene Skelettreste erhalten sind, ein Zeitgenosse des Elephas antiquus, des Rhinoceros Merckii und anderer frühdiluvialer Tiere war.

Die große Übereinstimmung in den oben aufgeführten Knochen­resten hat dazu geführt, daß man für sie eine besondere Menschenart, den Homo primigenius, aufgestellt hat. Er unterschied sich vom jetzigen Menschen durch mehrere Merkmale, die besonders von Schwalbe und Klaatsch genauer formuliert worden sind. Die wichtigsten sind: starke Überaugemvülste, fliehende Stirn, im Zusammenhänge damit niedriger Schädel, Fehlen des Kinnvorsprungs. Am Oberschenkel ist die stärkere Ausbildung der Gelenkteile hervorzuheben, an den Back­zähnen die Fältelung der Kaufläche, die an Orang-Utanzähne erinnert. Die Schädel von Spy und vom Neandertal sind schmal und langgestreckt, diejenigen von Krapina sollen nach Gorjanovic-Kramberger eine sehr kurze Form besessen haben, doch ist die Rekonstruktion zweifelhaft. Was den Kulturzustand des Homo primigenius betrifft, so sind mit allen seinen Knochenresten zusammen Chelleo-Mousterien-Werkzeuge gefunden worden, d. h. der ursprünglichste iypus der älteren Steinzeit (wenn man von den umstrittenen Edithen absieht). Aus dem Fehlen eines Kinnvorsprunges hat man auf den Mangel einer Sprache schließen wollen, indem Walkhoff die Ausbildung des Kinns als eine Folge der Verstärkung der unteren Zungenmuskeln im Zusammenhang mit der Sprachentwickelung auffaßte. Aber Toldt hat nachgewiesen, daß das Kinn als eine Verstärkung anzusehen ist, die mit der Umformung des