9. (7. außerordentliche) Versammlung des XVI. Vereinsjahres. 351
Die Fortsetzung der Wanderung führte die Gesellschaft nach der, soweit die deutsche Zunge klingt und weit darüber hinaus, wohl- bekannten und hochangesehenen Fabrik von Gustav Kühn, die trotz des Sonntags in allen ihren Teilen in entgegenkommendster Weise gezeigt wurde.
Es mag wohl nicht viel deutsche Kinder geben, denen der leicht zu behaltende Reim „Neu Ruppin, zu haben bei Gustav Kühn“ nicht sehr frühzeitig in die Ohren geklungen wäre. Die Geschichte des Hauses ist vorbildlich und zur Nacheiferung anspornend für die Entwickelung eines Weltgeschäftes aus kleinsten Anfängen, dank einer ungewöhnlichen Intelligenz, Umsicht und Arbeitskraft. Der Buchbinder Johann Bernhardt Kühn hat 1775 als schlichter Buchbinder mit der Errichtung einer kleinen Buchdruckerei und der Herstellung sogenannter „Fliegender Blätter“ mit humoristischen Darstellungen begonnen, aus welchen die späteren „Bilderbogen“ hervorgingen. Sein Sohn und Nachfolger, Leopold Gustav Kühn, der in Berlin bei Professor Gubitz die Kunst des Holzschneidens gelernt, schuf der Fabrik ihren Weltruf, indem er rechtzeitig sich an Stelle des bis dahin ausschliesslich zur Herstellung des Bildes angewandten Hand-Schablonierens der neu erfundenen Senefelder’schen Kunst des Steinzeichnnes und Steindruckens zuwandte, tüchtige Mitarbeiter heranzog und 1875 auch die Herstellung von Bilderbüchern in lithographischem Farbendruck aufnahm: Die von seinem Verlage herausgegebene „Märkische Zeitung“ steht z. Z. in ihrem 80. Jahrgang.
Die Bedeutung der Ruppiner Offizin hat niemand hübscher und treffender gekennzeichnet als Theodor Fontane, wenn er sagt: „Lange
bevor die erste illustrierte Zeitung in die Welt ging, illustrierte der Kühnsche Bilderbogen die Tagesgeschichte, und was die Hauptsache war, diese Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte den Ereignissen auf dem Fuße, .... während spätere ähnliche Unternehmungen sich schlechter auf den Geschmack des Publikums verstanden und die rechte Stunde mehr als einmal versäumten. Da liegt es! ln jedem Augenblick zu wissen, was obenauf schwimmt, was das eigentlichste Tagesinteresse bildet, das war unausgesetzt und durch viele Jahrzehnte hin Prinzip und Aufgabe der Ruppiner Offizin. Und diese Aufgabe ist glänzend gelöst worden, so glänzend, daß ich Personen mit sichtlichem Interesse vor diesen Bildern habe verweilen sehen, die vor der künstlerischen Leistung als solcher einen unaffektierten Schauder empfunden haben würden. Aber die Macht des Stoffes bewährte sich siegreich an ihnen.“ In der dritten Generation haben die Brüder Paul und Richard Kühn das Geschäft vor wenigen Jahren verkauft, die gegenwärtigen Inhaber führen es jedoch im alten Geiste fort. Nach wie vor sind die eigentlichen Bilderbogen bei der ungewöhnlichen Reichhaltigkeit