Heft 
(1907) 16
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10. (8. außerordentliche) Versammlung des XVI. Vereinsjahres.

mit ihren Freunden gesessen. Der Garten ist nur schmal und endet an der Stadtmauer. Von dem langen Korridor aus führt die Treppe in den ersten Stock hinauf, der neben dem Arbeitszimmer des Gelehrten nur noch eine schmale Kammer beherbergt. Die Möbel in diesem Zimmer sind die echten, und ein Spruch an der Wand verkündet, daß Melanchthon hier 1561 gestorben ist.

An diesen beiden Plätzen hatte Herr Kandidat Dühring die Er­läuterung der Sehenswürdigkeiten übernommen.

Wir pilgerten von hier aus weiter durch einige Nebenstraßen und ein Stück der Anlagen zu dem Melanchthon-Gymnasium, dessen Aula besonders reich ausgestattet ist. Hier gab Herr Professor Dr. Sanders die nötigen Erläuterungen. Der Erbauer des Gebäudes ist Franz Schwechten, er hat in der Aula ein Meisterwerk der Baukunst geschaffen. Die braune Täfelung, auf die das bunte Licht der hohen Fenster fällt, macht einen feierlichen Eindruck. Diese Glasfenster sind ein Geschenk ehemaliger Schüler. Über ihnen befinden sich die Wappen Luthers und seiner Zeitgenossen. Als das Gebäude im Jahre 1888 fertig war, fehlte noch der Hauptschmuck der Aula, das große Gemälde von W. Friedrich an der östlichen Wand. Links und rechts neben dem Gemälde sind hohe Tafeln befestigt mit den Namen ehemaliger Schüler, die den Helden­tod gestorben sind. Unter dem Bilde endlich sind die Wappen der Luther-Städte angebracht. Das Bild selbst stellt Luther" dar, wie er unmittelbar nach dem Schluß der denkwürdigen Sitzung auf dem Reichs­tage zu Worms am 18. April 1521 von seinen Anhängern und Feinden umringt wird. Er selbst steht weltvergessen da mit gefalteten Händen und nach oben gerichteten Augen. Die Worte, die er nach seiner Rückkehr in seine Herberge geäußert haben soll:Ich bin hindurch, sind unter dem Bilde angebracht. Dicht neben ihm stehen seine beiden fürstlichen Freunde, der Kurfürst Friedrich der Weise und der Markgraf Philipp von Hessen. Um diesen Mittelpunkt gruppieren sich nun die übrigen Personen, links die Gegner und rechts die Anhänger, während im Vordergründe begeisterte Studenten sich vordrängen.

Die nächste Stätte unserer Wanderfahrt war die Stadtkirche oder Marienkirche. Die Erläuterung hatte Herr Archidiakonus Wagner übernommen. Das Gotteshaus ist nach und nach erbaut worden. Der älteste Teil, der heutige Altarraum, stammt aus dem Jahre 1300, durch den Anbau ist der Altar aus der Längsachse der Kirche etwas ver­schoben worden. Das Altarbild ist von Cranach d. Ä. und stellt das Abendmahl vor, darunter hängt ein Bild, das Luther zeigt, wie er predigt. Dieses Bild ist beschädigt; am Halse Luthers findet sich ein Loch, das von einem Florettstich herrührt, den ein spanischer Edelmann geführt hat, als er nach der Schlacht bei Mühlberg die Kirche aufsuchte. Links vom Altar hängt ein zweiter Cranach, die Taufe vorstellend, mit