Heft 
(1907) 16
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10. (8. auerßordentliche) Versammlung des XVI. Vereiusjahres.

Neben der Südwand der Kirche steht eine kleine Kapelle aus Back­steinen mit sehr spitzem Dach, die Kapelle zum heiligen Leichnam vom Jahre 1377. Die Wände des Innern sind mit zahlreichen Bildern geschmückt, vor allem mit den Porträts von Geistlichen.

Auf der Nordseite der Kirche liegt ein kleiner Platz mit der bronzenen Porträtbüste Bu'genhagens und dem Haus Bugen- hagens, einem Gebäude, das jetzt die Superintendantur ist; Bugenhagen, der 1558 gestorben ist, kann hier aber garuicbt gewohnt haben, weil man erst 1502 mit dem Bau begonnen hatte.

Es ist ein stattliches Gebäude; hier hatte Herr Buchbinder Senf eine beachtenswerte Ausstellung von Kupferstichen und Holzschnitten aus alter Zeit aufgestellt. Sie waren znm größten Teil Wittenberger Juristen, Philologen und Theologen aus alter und neuer Zeit, alsdann fanden sich darunter auch viele Porträts von Luther, Melanchthon und den Männern der Reformation und endlich noch eine Zahl von Stadt­plänen und Stadtansichten. Im ganzen werden es wohl 500 Exemplare gewesen sein.

Von hier wanderten wir hinüber zum Gesellschaftshaus am Markte, wo ein warmes Frühstück eingenommen wurde. Während der Tafel sprach der 1. Vorsitzende, Herr Geheimrat Friedei, den Herren des Ortsausschusses den Dank aus für ihre sorgfältige Führung und Belehrung, und Herr Dr. Krüger erwiderte darauf und gab eine Über­sicht über das, was der Nachmittag noch bringen würde. In unser Programm war nämlich noch die Besichtigung des Rathauses einge­schaltet worden.

Im Sitzungssaal des Rathauses waren die Sehenswürdigkeiten anfgestellt; die älteste Urkunde stammt aus der Zeit von 12601270, ein merkwürdiges Bild stellt einen Leichenzug ans dem Ende des 16. Jahrhunderts dar, eine Anzahl Rechnungen des Magistrats sind er­halten über Ausgaben für Luther, es wird die Hand der Frau des Ober- postkommissarius Zimmermann aufbewahrt, die ihre Kinder umgebracht hatte und dafür au den Galgen kam, nachdem man ihr vorher die Hand abgeschlagen hatte, endlich wird der getrocknete Magen des Freß-Kahles aufbewahrt, der unglaubliche Mengen von Nahrung verzehren konnte. Der Magen selbst ist nicht viel größer als ein normaler, aber er besitzt ein beutelförmiges Anhängsel, das beinahe ebenso groß ist. Es ist aber nicht recht zu erkennen, wie der Zusammenhang zwischen beiden war.

Das Rathaus selbst ist ein stattliches Gebäude, das 1523 begonnen und 1768 erneuert wurde. Es besitzt ein sehr schönes Portal, vor dem vier Säulen stehen, die einen Balkon tragen. Auf dem Dach sind vier hübsche Renaissance-Giebel aufgesetzt. Auf dem Pflaster vor dem Portal sind die vier Steine zu erkennen, auf denen der Galgen errichtet wurde. Den Marktplatz schmücken die Bronze-Standbilder Luthers und