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17. (6. ordentliche) Versammlung des XVI. Vereinsjahres.
Doch Bilder, welche mit diesem Sinn für die schlichte Wahrheit des wirklichen Lebens gemalt sind, finden wir in früheren Jahrhunderten nur selten. Die großen Gemälde, welche zur Verherrlichung der Ruhmestaten der Völker in früheren Zeiten geschaffen wurden, sind meist pomphafte Allegorien. Da sehen wir die Helden des 17. und 18. Jahrhunderts in den prunkvollen Rüstungen des klassischen Altertums und umgeben von allen den idealen Gestalten, welche die Kunst der Griechen und Römer zur Verherrlichung kriegerischen Ruhmes und aller Herrscher- tugeuden ersonnen hat. Doch nach den wirklichen Gestalten in den Uniformen ihrer Zeit suchen wir in der Regel vergebens.
Um so freudiger ist es zu begrüßen, daß das Zeitalter Friedrichs des Großen einen Künstler besessen hat, welcher den König und seine Zeitgenossen mit der Treue des Chronisten gezeichnet hat. Dieser Meister war Daniel Chodowiecki. Wie oft hat Chodowiecki den König gesehen, wenn er auf seinem berühmten Schimmel durch die Straßen von Berlin ritt. Er hat seine Züge beobachtet bei den großen Frühjahrsparaden auf dem Tempelhofer Felde, wenn der König an der Spitze seiner Generäle die Fronten der Regimenter entlang galoppierte. In solchen Augenblicken hat sich dem Künstler das Bild des Monarchen tief in die Seele geprägt. Und daheim in der Stille der Künstlerwerkstatt, hat er die Züge mit dem Zeichenstift festgehalten.
Das gibt seinen Radierungen die schlichte Wahrheit des Milieus. So wie uns Chodowiecki den König in Krieg und Frieden geschildert hat, so lebte sein Bild in den Augen der Zeitgenossen. Dadurch sind die Radierungen Chodowieckis für uns zu Dokumenten des Zeitalters Friedrichs des Großen geworden. Der größte Teil dieser Bilder ist in den kleinen, zierlich ausgestatteten Kalendern und Almanachs des 18. Jahrhunderts erschienen. Doch wie wenigen ist es heute vergönnt, aus allen diesen Almanachs auch nur das eine oder andere Blatt im Original zu besitzen. Die großen Hauptwerke des Meisters in guten Abdrücken zu erwerben, ist heute nur begüterten Kunstsammlern mög- üch. Und doch sollten diese Blätter, welche so treu den Geist des friedericianischen Zeitalters widerspiegeln, als Ergänzung zu jedem Lehrbuch der vaterländischen Geschichte im ganzen Volke verbreitet sein. Namentlich der Jugend wird hier ein Bildermaterial von köstlicher Frische geboten.
Um diese Lücke auszufüllen, hat der obengenannte Verlag die Radierungen Chodowieckis aus der Brandenburg-Preußischen Geschichte in treuen Nachbildungen nach den Originalen des Meisters in einem Rande vereinigt. Die meisten Blätter sind in der Größe der alten Kupferstiche wiedergegeben. Nur die ganz großen Radierungen mußten verkleinert werden, um die volkstümlichen Ziele zu erreichen, welche sich di e obengenannte Verlagsbuchhandlung bei der Herausgabe dieses Buches gestellt hat. Auf diese Weise war es möglich, den größten Teil aller Ra-
